Ein Lob der Blasphemie: Vom Menschenrecht, keinen Gott zu kennen
von Thomas Baader
Was würde uns heute fehlen, wenn alles, was einmal mit dem Vorwurf der Blasphemie konfrontiert wurde, verboten worden wäre? Die Liste ist lang, und das hier ist nicht mehr als ein Auszug: Johann Wolfgang Goethes "Faust", Salman Rushdies "Satanische Verse", Gustave Flauberts "Madame Bovary", Andrew Lloyd Webbers "Jesus Christ Superstar", Monty Pythons "Das Leben des Brian", Emil Noldes "Abendmahl", Edvard Munchs "Madonna", Günter Grass' "Blechtrommel", Mel Brooks' "History of the World Part I", Friedrich Nietzsches "Also sprach Zarathustra", Charles Darwins "Über die Entstehung der Arten"... da ist doch für jeden Geschmack etwas dabei.
In dieser Aufzählung befindet sich auch so einiges, auf das ich persönlich getrost verzichten könnte. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass unabhängig von der einen oder anderen geschmacklichen Verirrung (oder auch einfach nur Belanglosigkeit) Wissenschaft und Kultur erheblich von "blasphemischen" Vorhaben und Werken profitiert haben. Und so soll es bittschön auch bleiben.
Passt der Film "Die Unschuld der Muslime" in diese Aufzählung? Was künstlerische Qualität und weltgeschichtliche Bedeutung angeht - sicherlich nicht. Dennoch: Der Schulterschluss vermeintlich antirassistischer Linker ("beleidigt bloß nicht unsere edlen Wilden") und Morgenluft witternder Konservativer ("Wir wollen ein Blasphemieverbot in Sachen Islam... in Folge dann natürlich auch beim Christentum") mutet bizarr an, darf aber nicht unterschätzt werden, denn er bringt die unangenehmsten Auswüchse der beiden bedeutendsten politischen Strömungen zueinander. Sabine Schiffer darf im November diesen Jahres im Odenwald über die "Grenzen der Meinungsfreiheit" schwadronieren, Kirchenvertreter solidarisieren sich mal wieder (aber nicht etwa mit ermordeten Botschaftern), während kürzlich erst Tarek Al-Wazir bei Maischberger erklären durfte, warum es einen Riesenunterschied gäbe zwischen dem Mohammed-Amateurfilm und dem satirischen Meisterwerk "Das Leben des Brian".
Was die Qualität angeht, gibt es diesen Unterschied tatsächlich - aber auch in rechtlicher Hinsicht? Es kann kein Kriterium sein, dass das eine Schrott und das andere ein Glanzstück ist.
An dieser Stelle tut der Hinweis auf etwas Grundlegendes not: Wer Atheist ist, für den sind Moses, Jesus, Buddah und Mohammed normale Menschen gewesen, denen nichts Göttliches anhaftet, weil es aus atheistischer Perspektive nun einmal nichts Göttliches gibt. Diese Sichtweise mag religiösen Menschen nicht gefallen. Aber in einem Staat, der Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt, ist die Position, dass Mohammed ein ganz normaler Mensch mit all seinen Fehlern gewesen ist, ebenso legitim wie die Vorstellung von einem von Gott erwählten Propheten Mohammed. Und ebenso wie der Atheist es hinnehmen muss, dass der Gläubige ständig von seinen religiösen Texten schwärmt, wird der Gläubige nichts daran ändern können, dass der Atheist eben diese religiösen Texte für nichts weiter als unterhaltsame Märchenerzählungen hält.
Blasphemie ist somit letzlich ein Menschenrecht, denn hier kommt die Meinungsfreiheit des nicht religiösen Menschen zum Ausdruck, nichts Heiliges in Propheten, Erlösern, Texten und Reliquien sehen zu wollen. Ein Blasphemieverbot ist demnach einer Demokratie unwürdig, weil es den Atheisten dazu zwingen würde, sich bei öffentlichen Äußerungen der Position der Gläubigen anschließen zu müssen und keine eigene vertreten zu dürfen. Wenn man also Mohammed nicht als schlechten Menschen bezeichnen dürfte (weil dies als Blasphemie gilt), hätte man nur noch die Wahl, ihn eben als guten Menschen zu bezeichnen oder einfach die Klappe zu halten. Diese Einschränkung der Meinungsfreiheit wäre äußerst einseitig, da von ihr nur "Ungläubige" betroffen wären, während es keine Entsprechung für die Gegenseite gäbe.
Noch schwieriger wird es, wenn wir von den Propheten und Religionsgründern absehen und stattdessen "Beleidigungen" von Gott selbst thematisieren. Für den Atheisten existiert Gott nun einmal nicht und es ist für ihn daher auch schwer nachvollziehbar, wieso er für die Beleidigung eines Phantasiegebildes zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Entsprechend kann die Lösung für die gläubigen Menschen nur darin bestehen, endlich einzusehen, dass ihre religiösen Gebote nur für sie selbst gelten.
Was jemand anderes über Gott und seinen Propheten sagt, sollten Gläubige ignorieren. Dann stellt sich der gesellschaftliche Frieden von ganz alleine ein.
Siehe auch:
In einer Stellungnahme zur freien Meinungsäußerung im Rahmen internationaler Gesetze hat die UN festgestellt, dass Gesetze, die die Blasphemie einschränken, mit den geltenden Menschenrechtsstandards inkompatibel seien.
http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/08/169206/un-gotteslaesterung-ist-ein-menschenrecht/
Der Beobachter der IHEU bei den Vereinten Nationen, Austin Dacey, hatte in letzter Zeit häufig schlechte Nachrichten für die Religionsfreiheit in der UN zu vermelden. Jetzt kann er etwas Positives berichten. Entsprechend den Bestimmungen des ICCPR gibt es ein Recht auf Blasphemie.
http://hpd.de/node/11837
Dieser Artikel erschien am 30. September 2012 auch auf dem Blog "Achse des Guten":
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/vom_menschenrecht_keinen_gott_zu_kennen/
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