Lesehinweis
Genitalverstümmelung ist moralisch falsch. Sie betrifft einen Kernbereich der Menschenrechte, weil es sich um eine schwere Körperverletzung handelt. Solche schweren Menschenrechtsverletzungen sollten wir moralisch verurteilen, unabhängig davon, wo und durch wen sie verübt werden. Dennoch ist nicht jede Art von Eingriff gerechtfertigt. Auch das Eingreifen selber kann nämlich aus moralischer Sicht problematisch sein. Bestimmte Arten von Eingriffen – solche mit Gewalt – erfordern eine besonders starke Rechtfertigung. Ein gewaltsamer Eingriff muss im Sinne der Opfer sein, es muss sich um das letzte verfügbare Mittel handeln und die «Kollateralschäden» eines solchen Eingreifens müssen verhältnismässig sein.
Auch gewaltfreie Eingriffe sind nicht automatisch unproblematisch. In der Formulierung der Frage ist von «Belehren» die Rede. Das unterstellt ein hierarchisches Verhältnis: Hier die Schüler, da die Lehrerin. Sich gegenüber anderen Kulturen als überlegen zu sehen und zu gebärden, wäre aber sowohl respektlos als auch wenig effektiv. Das Verurteilen einer bestimmten Praktik sollte nicht in ein generelles moralisches Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Kulturen kippen. Auch die Betonung der Fremdheit anderer Kulturen scheint mir in diesem Zusammenhang nicht hilfreich.
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Besonders heikel ist es, wenn Eingriffe in die Praktiken anderer Kulturen durch eine Gruppe erfolgen, die sich in einem Machtverhältnis zur kritisierten Kultur befindet, das selber kritikwürdig ist. Moralische Kritik etwa von Europäern an ehemals kolonisierten Ländern erweckt schnell den Verdacht einer Neokolonialisierung. Zwar ändern diese Machtverhältnisse überhaupt nichts an der Falschheit einer kritisierten Praktik. Dennoch ist es in solchen Kontexten besonders wichtig, sensibel zu agieren.
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