von Konservativ (P)
Die Debatte, die am vergangenen Donnerstag bei Maybit Illner um die derzeitigen Vorgänge in Ägypten geführt wurde, macht leider einige Richtigstellungen nötig:
1) Jürgen Todenhöfer: „Wir haben ihnen durch den Kolonialismus 100 Jahre gestohlen. […] Die Lichter sind ausgegangen.“
Möglicherweise versteht Todenhöfer die „100 Jahre“ nur metaphorisch. In Wahrheit dauerte die Kolonialzeit in Ägypten natürlich weniger als 100 Jahre. Falls andere afrikanische Länder mitgemeint gewesen sein sollten: Dort war die Kolonialzeit oft noch kürzer (in Äthiopien beispielsweise nur fünf Jahre).
Wer wissen möchte, wie es im vorkolonialen Ägypten zuging, dem sei die Lektüre von J. Christopher Herolds „Bonaparte in Egypt“ empfohlen: Dort wird nicht nur vom (letztlich erfolglosen) Versuch der Franzosen im Jahre 1798 berichtet, Ägypten zu einer Kolonie zu machen, man erfährt nebenbei auch vieles über die Zustände, die Bonaparte und seine Soldaten damals dort vorfanden. Rivalisierende Mameluckenführer hielten das Land seit langer Zeit in einem permanenten Zustand der organisierten Anarchie: ständig militärische Konflikte, Hungersnöte, Korruption, völlig willkürlich erhobene Steuern, Rechtlosigkeit. Wir erfahren von einem französischen Militärarzt, der in einem ägyptischen Dorf ein junges Mädchen vorfindet, dass von seinen Eltern „zugenäht“ wurde – eine offenbar völlig übliche Maßnahme zum Schutz gegen die zahlreichen Vergewaltigungen. Es gab also kein „goldenes Zeitalter“ in den afrikanischen Ländern vor der Kolonialzeit. Wenn Todenhöfer nun noch sagt, dass die arabische Kultur eine „ganz große Kultur“ gewesen sei, dann ist an dieser Stelle festzustellen, dass bei allen großen kulturellen Errungenschaften die Ausbeutungsmethoden der Araber denen der Europäer in nichts nachstanden. Der Jahrhunderte andauernde arabische Sklavenhandel dürfte viele afrikanische Länder weitaus härter getroffen haben als die relativ kurze Zeit des Kolonialismus, auch wenn es während letzterer zweifellos zu ungeheuren Grausamkeiten gekommen ist. Todenhöfers offensichtliche Grundansicht „Ausbeuter und Unterdrücker waren nur die Europäer“ ist jedenfalls falsch.
2) Aktham Suliman: „Wenn die arabischen Frauen mit den Rechten, die sie haben oder gar nicht haben, nicht zufrieden sind, ich erwarte von ihnen, dass sie auf die Straße gehen, und nicht von außen das irgendwie bekommen […] das werden sie sich erkämpfen, wenn es wirklich soweit ist […]“
Die Aussage von Suliman ist hier vor allem, dass dem Ausland im Hinblick auf die Frauenfrage keine Kritik zustehe. Letztlich sieht er es wohl als innere Angelegenheit der Ägypter, welchen Status die Frauen dort letztlich haben werden. Spinnt man diesen Gedanken nun weiter, so wäre es wohl auch die alleinige Sache Südafrikas gewesen, wie man dort mit Schwarzen umgeht. Hinsichtlich des Minarettverbots wäre auch die Schweiz nicht mehr länger zu kritisieren, da man es konsequenterweise den Schweizern überlassen müsste, wie sie mit ihren religiösen Minderheiten umgehen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Meint Suliman das wirklich ernst? Ihm ist möglicherweise nicht bewusst, dass Souveränitätsrechte von Staaten bisweilen an ihre Grenzen stoßen. „Das allgemeine Völkerrechtsdenken ist so weit entwickelt worden, dass die Durchsetzung und Bewahrung der Menschenrechte dem innenpolitischen Gestaltungsmonopol des Staates ansatzweise übergeordnet wird.“ Diesen Satz kann man heute in einem Schulbuch für die gymnasiale Oberstufe lesen. Doch auch bei anderen Gelegenheiten betont Suliman, dass bestimmte Entwicklungen in Ägypten das Ausland nichts angingen. Dies ist, wie es hier dargelegt wurde, nur eingeschränkt richtig. Letztlich ist es auch die Frage, inwieweit man von einer Bevölkerungsgruppe, die innerhalb einer Gesellschaft eine der denkbar schlechtesten Positionen innehat, ernsthaft erwarten kann, sie solle sich gefälligst ihre Rechte selbst erkämpfen, so wie Suliman dies fordert. Hätten etwa auch die Sklaven in den Südstaaten der USA ihre Befreiung völlig ohne Hilfe „von außen“ erreichen sollen? Wäre auch in diesem Fall jeder Versuch einer Einflussnahme eine nicht akzeptable Form der Einmischung in innere Angelegenheiten gewesen? Die Sklavenhalter und Plantagenbesitzer haben diesen Standpunkt durchaus vertreten – natürlich aus völlig durchsichtigen Gründen.
3) Aktham Suliman: „Wo gibt’s eine Revolution, die in einer Katastrophe endete? Die kenne ich nicht. Ich kenne nur Revolutionen, die auf eine Katastrophe hin gestartet wurden.“ Maybritt Illner: „Ja, sie endeten hier und da schon in Diktaturen…“ Aktham Suliman: „Nicht schlimmer als das, was davor war.“
Ein Blick in die Geschichte verschafft hier Klarheit: Die Französische Revolution beendete die Herrschaft eines absolutistischen Königs, machte aber den Weg frei für Robespierre und die Jakobiner und schließlich für Napoleons Größenwahn. Die Russische Revolution machte Schluss mit dem Despotismus des Zaren, führte aber letztlich zu den Millionen Toten, die Lenin und Stalin zu verantworten hatten. Die Revolution in Deutschland am Ende des Ersten Weltkrieges ersetzte ein autoritäres kaiserliches Regime durch eine instabile „Demokratie ohne Demokraten“, die am Ende dem Dritten Reich weichen musste. Und der iranische Schah wurde zwar 1979 erfolgreich gestürzt, das Land fand sich jedoch schnell in einer wesentlich schlimmeren Diktatur der Mullahs wieder.
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Hier kann die friedliche Revolution in der DDR genannt werden. Auch den Ägyptern sei von Herzen gewünscht, dass sich die demokratischen und gemäßigten Kräfte durchsetzen. Die Geschichte scheint jedoch mehr Beispiele zu kennen, wo das (durchaus berechtigte) Aufbegehren eines Volkes gegen seine Unterdrücker am Ende zu noch mehr Unterdrückung geführt hat. George Orwell hat das richtig erkannt und in seiner berühmten Fabel „Animal Farm“ verarbeitet. „Nennen Sie es Demokratie, nennen Sie es sonstiges Theater, es ist egal, Hauptsache mit Würde“, sagt Suliman am Ende der Sendung. Dieser Satz hätte allerdings auch genauso gut auf einer Veranstaltung der NSDAP während der Zeit der Weimarer Republik gefallen sein können. |