Interview
Die Frauenrechtlerin und Buchautorin Serap Cileli wurde selbst als Jugendliche zwangsverheiratet. In einem Interview für „Die Menschenrechtsfundamentalisten“ bezieht sie Position zu den Ereignissen der letzten Wochen.
Die Menschenrechtsfundamentalisten: Frau Cileli, wie bewerten Sie die heftig geführte Integrationsdebatte der letzten Wochen?
Serap Cileli: Als sehr positiv in erster Linie bewerte ich, dass das Buch von Thilo Sarrazin eine Diskussion über die Integration, besonders über die Lage der türkisch- und arabischstämmigen Migranten, angestoßen hat. Andererseits versetzen mich die hysterischen Angriffe auf Sarrazin in Wut, der nicht anderes getan hat, als eine unbequeme Wahrheit auszusprechen. Verbunden mit meiner eigenen Tätigkeit stellt sich mir da die Frage: Wie kann es sein, dass in Deutschland jemand wie Sarrazin mit einem Berufsverbot belegt wird, wenn er Tatsachen benennt? Auch der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch musste in der Vergangenheit berufliche Konsequenzen hinnehmen, als er sich auf eine Weise äußerte, die nicht erwünscht war. Ich habe beispielsweise im Fall von Kirsten Heisig lange nicht an Selbstmord geglaubt. Jetzt, wo mir durch den Fall Sarrazin richtig klar geworden ist, unter welchen Druck jene geraten, die sich öffentlich kritisch äußern, wird mir der Selbstmord verständlich.
MRF: Am 31.8. dieses Jahres lief auf dem deutsch-französischen Kultursender arte der Themenabend „Der neue Mann: Brutaler Macho?“. Sie selbst nahmen an der Fernsehdiskussion, die diesen Abend abschloss, teil. Was die deutschen Fernsehzuschauer jedoch nicht wussten: Der Auftakt des Abends, ein Film über den Frauenhass in der Einwanderergesellschaft der französischen Vorstädte, wurde nur in Deutschland gezeigt, in Frankreich jedoch kurzfristig aus dem Programm genommen. Schnell war von Zensur die Rede, nach Protesten wurde der Film in Frankreich schließlich Wochen später doch noch gezeigt. Was können wir von Frankreich lernen?
Cileli: Ich empfand es als sehr wichtig, dort eingeladen zu werden, weil dies einen Vergleich der Lage in Deutschland und Frankreich erlaubte. Die Situation in Frankreich würde ich so umschreiben: Es ist zehn nach zwölf, also im Grunde bereits zu spät, während es in Deutschland noch fünf vor zwölf ist. Die französischen Verhältnisse sollten uns hellhörig machen, damit wir nicht Ähnliches hier in Deutschland bekommen. Die Franzosen versuchen zwar gegenzusteuern, jedoch ist die gescheiterte Integration in den Vorstädten nur noch schwer in den Griff zu kriegen. Sehr begrüßenswert ist allerdings das dortige Vollverschleierungsverbot, das für das restliche Europa Vorbildcharakter haben sollte.
MRF: Sie befürworten also ein Verbot der Burka?
Cileli: Ja. Im übrigen sollte Europa einheitliche Verbote aussprechen. Es kann nicht sein, dass in dieser für die Rechte der Frauen so wichtigen Frage jedes Land seine eigenen Regeln aufstellt. Im Hinblick auf das Verbot des Kopftuchs für Lehrerinnen herrscht in Deutschland ja sogar zwischen den einzelnen Bundesländern Uneinheitlichkeit. Dabei ist das Verbot für Lehrerinnen keineswegs ausreichend. In Deutschland sollte es, wie in Frankreich, ein Kopftuchverbot – oder vielmehr ein Türban-Verbot – für Schülerinnen geben. Denn diese Form der Verschleierung fällt keineswegs, wie viele Europäer das immer wieder annehmen, unter die Religionsfreiheit. Der Türban ist keine religiöse Pflicht. Die Frauen verdecken sich für die Männer. Daher ist auch der Vergleich mit der Nonnentracht völlig abwegig.
MRF: Nach Sarrazins Buch steht nun mit dem neuen Buch von Alice Schwarzer der nächste Aufreger ins Haus. Wie beurteilen Sie die Aussagen von Frau Schwarzer?
Cileli: Alice Schwarzer und ich setzen uns für dieselbe Sache ein. Ich freue mich sehr, dass Frau Schwarzer sich für die Freiheit der Musliminnen engagiert. Sie sollte den europäischen Feministinnen, die sich in die Belange der Migranten nur ungern einmischen, ein Vorbild sein. Die europäische Frauenbewegung hat ja bereits einen überaus erfolgreichen Kampf hinter sich. Nun ist es an der Zeit, dass sie den Musliminnen dabei hilft, ebenfalls in den Genuss von Freiheit und Gleichberechtigung zu kommen.
MRF: Frau Cileli, wir danken für dieses Gespräch. |