von Schmerzgrenze (P)
Brief eines ehemaligen Opfers von sexuellem Missbrauch an Herrn Jerzy Montag (Mitglied der GRÜNEN) anlässlich seiner zu Beginn dieses Jahres gefallenen Äußerungen, die Aufhebung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch zu wollen sei „ein fundamentalistischer Racheakt“ und eine rechtsstaatliche Gesellschaft sei „nicht nur eine strafende, sondern auch vergebende“
Dieser Beitrag ist, obwohl schon vor einiger Zeit verfasst, bislang noch nirgendwo erschienen, da er bisher von mehreren anderen Blogs abgelehnt worden war wegen der Befürchtung, er sei verbalpornographisch – oder vielleicht auch schlicht aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema.
Da ich mir keinen Maulkorb aufsetzen lassen möchte, sei hier, lieber Leser und liebe Leserin, gewarnt, dass drastische Sprache verwendet wird, weil das Thema an sich drastisch ist.
Falls jemand der Auffassung ist, es mangele mir an der nötigen Objektivität, um über dieses Thema zu sprechen, dem möchte ich folgendes erwidern: Ich stimme nicht zu. Ich habe lediglich die nötige Subjektivität.
Sehr geehrter Herr Montag,
ich bin eine (relativ) junge Erwachsene, ehemaliges Missbrauchsopfer. Machen wir ein kleines Gedankenspiel:
Sie sind mein Vater (das Alter könnte hinkommen) und ich erzähle Ihnen nach Jahren des verzweifelten, schamvollen Schweigens, des Zweifelns an meiner eigenen, seelischen Gesundheit, der Alpträume und der flashback-ähnlichen Erinnerungen, dass der liebe Onkel R. mich als Kleinkind, vermutlich mehrfach, anal vergewaltigt, gewürgt und mir ins Gesicht ejakuliert hat.
Jetzt bin ich, endlich mit psychologischer Hilfe, soweit gewesen ihn anzuzeigen, aber leider reichen die Beweise nicht, trotz eindeutiger körperlicher Andenken.
Würden Sie mich trösten?
Wären Sie rasend vor Wut, würden Sie ihn am liebsten zerstückeln und seine Überreste den Schweinen zum Fraß vorwerfen wollen(das wäre übrigens, nach meinem Verständnis ein „fundamentalistischer Racheakt“, wenn auch, von meiner bescheidenen Warte aus, äußerst nachvollziehbar)?
Würde Sie der Gedanke verrückt machen, dass in all der Zeit, in der ich gelitten habe, die Zeit während des Missbrauchs und die danach, es ihm vermutlich gut ging?
Würden Sie mir ersparen wollen, ihn zufällig wiederzusehen und die Angst nehmen wollen, wieder sein Opfer zu werden (auch wenn dies unrealistisch ist, da ich, weil mittlerweile fraulich gebaut, längst nicht mehr seinem Beuteschema entspreche)?
Hätten Sie liebend gern die Gewissheit, dass die Menschheit sprich andere Kinder vor ihm geschützt sind und er hinter Schloss und Riegel sitzt?
Würde Sie der Gedanke quälen, dass er möglicherweise gerade jetzt, in diesem Moment, sich weiter an einem Kind vergeht?
Wünschten Sie verzweifelt seinen Tod, damit er in Ihrem Leben – gedanklich – keine Rolle mehr spielen muss und hätten Sie gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, da man doch niemandem sterben sehen wollte?
Oder würden Sie mir, Ihrer Tochter, sagen,
dass ich nicht so kleinlich sein solle,
dass schließlich doch alles schon sehr lang her sei,
dass man verzeihen und nach vorn schauen müsse,
dass er sich bestimmt geändert habe und alles bereue,
dass jeder Mensch, ob Taschendieb oder Kinderschänder, eine Chance verdiene,
dass Sie mich trösten und mir ein Eis kaufen werden, wenn ich weine, weil ich ihn wiedergesehen habe (schon mal passiert, in der U-Bahn),
dass Sie ganz sicher seien, dass andere Eltern besser auf ihre Kinder aufpassten als Sie selbst und er mittlerweile seine Pädophilie abgelegt habe wie einen alten Hut,
dass es ein fundamentalistischer Racheakt sei, wenn ich mir keine Todesstrafe, aber lebenslange Haft für ihn wünschte?
In letzterem Fall, Herr Montag, könnten Sie mir als Vater gestohlen bleiben.
Mit freundlichen Grüßen, Ihre Gott-sei-Dank-Nicht-Tochter
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