Musste Arzu sterben, weil sie einen deutschen Freund hatte?
von Cengiz Dursun
Seit dem 1. November 2011 suchte die Kripo Detmold nach der 18-Jährigen Kurdin Arzu Ö. Jetzt stellt sich heraus: Sie wurde ermordet – mutmaßlich von ihren eigenen Geschwistern. Ermordet, weil sie einen deutschen Freund hatte.
Arzu befindet sich in der Blüte ihres Lebens, jobbt in einer Bäckerei und verliebt sich in den fünf Jahre älteren Bäckergesellen Alex. Zuhause wird sie von ihren Familienmitgliedern verprügelt und erniedrigt. Der Grund: Eine Regel des Jesidentums sagt, dass, wenn man sich mit einem Nicht-Jesiden zusammentut, man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Arzu hält es nicht mehr aus. Sie flüchtet in ein Frauenhaus. Eines Tages verlässt sie es trotz aller Warnungen, um ihre große Liebe zu sehen, um bei Alex zu sein, um ihre Sehnsucht zu stillen. In derselben Nacht stürmen fünf Menschen die Wohnung, schlagen ihren Freund nieder und verschleppen sie.
Am Freitagmorgen entdeckt ein Angestellter eines Golfplatzes im norddeutschen Großensee die Leiche einer jungen Frau. Es ist Arzu. Fest steht: Sie fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Ermordet, weil sie einen deutschen Freund hatte – mutmaßlich von ihrer eigenen Familie.
Er ist im Dezember letzten Jahres erschoss ein 35-Jähriger Vater irakischer Herkunft und jesidischen Glaubens seine 13 Jahre alte Tochter, da sie mit Unterstützung des Jugendamtes bei ihren Eltern ausgezogen war und in einem Jugendheim lebte.
Die Opfer kämpften für eine gewaltlose Erziehung und ein eigenständiges Leben, und waren deshalb ihren Peinigern ein Dorn im Auge.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden jährlich etwa 5.000 Ehrenmorde verübt, bei einer vermutlich sehr hohen Dunkelziffer. Was ist der Grund dafür? Ist es der Glaube an Gott, der einen Menschen dazu bewegt, einen Ehrenmord zu begehen?
Diese Frage kann klar verneint werden, da es sich in allen Fällen um einen patriarchalischen Exzess handelt. Der Ehrenmord ist – wie der Fall von Arzu beweist – nicht nur in muslimischen Migrantenfamilien ein Phänomen; zumal es im Koran keinen einzigen Vers gibt, der einen Ehrenmord legitimiert. Laut Islam muss sowohl der Mann als auch die Frau jungfräulich den Ehebund schließen. Wie kommt es also, dass der Mann nicht für dieselben Sünden bestraft wird?
Zuallererst ist es die Frauenfeindlichkeit des patriarchalischen Mannes, der es nicht ertragen kann, dass die Frau emanzipiert und unabhängig ist. Und es ist das irrationale Verständnis von Ehre.
Das deutsche Wort "Ehre" drückt ein besonders positives Gefühl aus. Diese verdient man sich, wenn man mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird oder ein Versprechen gibt. In patriarchal geprägten Familien spielt der Ehrenkodex eine sehr entscheidende Rolle. Klar definierte Rollenzuweisungen für Mann und Frau kennzeichnen patriarchalische Gesellschaftsstrukturen. Für die Frau ist es die Rolle der Ehefrau, Mutter, Schwester und Hausfrau; für den Mann die Rolle des Familienoberhauptes, wenn es nicht der Großvater oder Vater ist, und Beschützers der weiblichen Familienmitglieder. Die “Ehre”, in diesem Fall der “Ruf”, spielt sich gewissermaßen auf den Lippen der Menschen ab. Wenn wir nun davon ausgehen, dass eine junge Frau Sex vor der Ehe hat, ihr Kopftuch abnimmt oder den Ehemann ablehnt, den sie heiraten soll, wird sie als namussuz deklariert, was soviel wie “ehrenlos” bedeutet. Für Männer in diesen Familienstrukturen ist die Vorstellung, dass der Ruf der Familie beschmutzt werden könnte, ein Albtraum. Denn die Grundlage für den sozialen Status der Familie innerhalb des eigenen Milieus bildet die Ehre, die als höchstes Gut von den männlichen Familienmitgliedern verteidigt werden muss (= Honour and shame culture). Und genau deshalb kann ein Ehrenmord, der von der gesamten Familie geplant wird, nicht mit einer "deutschen Familientragödie", die gerne als Gegenargument angeführt wird, um diese abscheulichen Morde zu relativieren, verglichen werden.
Erschreckend viele junge Migranten bagatellisieren Ehrenmorde und zeigen Nachsicht für die Täter. Für viele gelten deutsche Mädchen als unrein. Heiraten würden sie nur eine Jungfrau, selber sind sie es dennoch nicht. “Wir sind Männer, bei uns ist das was anderes.”
Doch dass Männer mit solch einer Gesinnung tatsächlich Männer sind, ist stark zu bezweifeln. Sie sind höchstens eine Schande für unsere Gesellschaft.
Cengiz Dursun betreibt den "Primavera Blog" (www.primaverablog.de) und macht derzeit an einer Fachschule für Sozialpädagogik eine Ausbildung zum Erzieher.
Wir danken Herrn Dursun für die Genehmigung, seinen Text auf diesem Blog veröffentlichen zu dürfen.
|