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"Sie lebte wie eine Deutsche" - Zum 7. Todestag von Hatun Sürücü

Lesehinweis

Anlässlich des 7. Todestages von Hatan Sürücü wurde in Berlin-Tempelhof eine Trauerfeier an der Stelle abgehalten, an der die 23jährige Türkin am 7. Februar 2005 von ihrem Bruder erschossen wurde, der mit dieser Tat die “Ehre” der Familie retten wollte. Bei der Feier waren etwa 50 Personen anwesend, darunter auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat.

Wi dokumentieren die Ansprachen der Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, und der Staatsekretärin der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, Barbara Loth.

Angelika Schöttler:
„Hier wurde Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 ermordet, weil sie sich Zwang und Unterdrückung ihrer Familie nicht unterwarf, sondern ein selbstbestimmtes Leben führte.“ - So ist es auf dem Gedenkstein zu lesen. Und deshalb haben wir uns heute hier versammelt.

Hatun Sürücü hatte für sich einen Lebensentwurf, man kann auch sagen: einen Lebenstraum. Sie wollte als alleinerziehende Mutter für ihren Sohn sorgen. Sie wollte sich in einem Beruf qualifizieren und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Diesem Lebensentwurf ist sie gefolgt. Diesen Weg wollte sie gehen. Dabei unterschied sie sich nicht von vielen jungen Frauen, die hier in Deutschland einen ähnlichen Weg gehen: Selbstbewusst und selbstbestimmt für sich Entscheidungen treffen, das eigene Leben gestalten und Teil der Gesellschaft sein.

Aufgrund ihrer familiären Wurzeln konnte sie ihr Leben nicht leben, ihren Lebenstraum nicht verwirklichen. Archaische Auffassungen von „Ehre und Schande“ führten zu ihrer Ermordung.

Der Mord an Hatun Sürücü hat in den Medien ein breites Echo ausgelöst. Wer die Reportagen, Berichte und Fernsehsendungen verfolgt hat, wird sich - wie ich - an einen Satz erinnern, der immer wieder zitiert wurde: „Sie lebte wie eine Deutsche.“

Dieser Satz wurde ausgesprochen von Jugendlichen, um für den Mord Verständnis zu zeigen, wenn nicht sogar die Tat zu rechtfertigen.

Für mich macht diese Aussage deutlich, wie weit einige hier Lebende von den hier geltenden Werten entfernt sind.

„Sie lebte wie eine Deutsche“ – Ich verbinde damit die Begriffe Selbstbestimmung, Handlungsfreiheit, Gleichberechtigung, Toleranz und Respekt. Also das, was die Würde des Einzelnen ausmacht, die Würde, wie sie in Artikel 1 des Grundgesetzes verankert ist. Das Grundgesetz lässt vieles zu und lässt vieles offen. Aber es gibt einen Kern, der unveränderlich ist, der die Plattform darstellt, auf der unsere Gemeinschaft aufgebaut ist. Es ist unabdingbar, dass dieser Werte-Kern des Grundgesetzes von allen hier Lebenden vorbehaltlos anerkannt und gelebt wird ! Dafür müssen wir aktiv eintreten, dafür müssen wir die Rolle der Handelnden übernehmen. Es gilt, auf allen gesellschaftlichen Ebenen diesen Grundkonsens konsequent zu vertreten.

Jedem und Jeder hier Lebenden müssen der nicht verhandelbare Werte-Kanon, das sich daraus ergebende Menschenbild und die damit verbundenen unendlichen Vorteile vermittelt werden.

Dazu muss die Gesellschaft unermüdlich weiter an der Herstellung gleicher Chancen hinsichtlich Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe arbeiten. Wir alle - Staat und Gesellschaft, Repräsentanten in Politik und Wirtschaft müssen dieses Ziel verfolgen.

Dazu gehört aber auch, frauenfeindliche Kulturen und Traditionen konsequent zu benennen und zu verurteilen. Räume, in denen man nach eigenem Recht lebt, darf es in Deutschland nicht geben. Dagegen muss mit allen rechtsstatlichen Mitteln vorgegangen werden.

Das ist der Apell, der mit dem heutigen Gedenken an den Tod Hatun Sürücüs verbunden ist!

Barbara Loth
Der gewaltsame Tod von Hatun Sürücü hat uns alle tief erschüttert. Sie wurde hier an dieser Stelle von ihrem Bruder erschossen, weil sie sich für ein selbstbestimmtes Leben entschieden hat. Ein Leben, das nicht den Vorstellungen ihrer Familie entsprach.

Hatun Sürücüs Tod hat Fragen aufgeworfen, auf die es häufig keine eindeutigen Antworten gibt. Wie kann ein solches Verbrechen vor unseren Augen geschehen?
Hätten wir es vorher erkennen können? Hätten wir helfen können? Was passiert in so vielen Familien in unserer Stadt? Wie viel Leid ist überall? Warum schaffen es viele Familien ohne Gewalt und warum andere nicht?

Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, bringen Werte von zu Hause mit. Das ist gut so und das wollen wir. Aber einige müssen durch die Migration neu hinterfragt werden. Dadurch können Spannungen entstehen. Manche haben Angst vor einem Identitätsverlust. Sie meinen die Achtung und Wahrung ihrer Werte um jeden Preis durchsetzen zu müssen. Der dadurch entstehende Druck lastet auf der gesamten Familie.

In der Regel sind es aber die Frauen und Mädchen, die mit Gewalt rechnen müssen, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben leben wollen. Für Gewalt gibt es kein Verständnis. Jeder und jede hat ein Recht auf ein gewaltfreies Leben. Gewalt darf auch kein Mittel zur Beendigung familiärer Konflikte sein. Auch religiöse oder kulturelle Gründe rechtfertigen sie nicht. Für uns ist das Recht auf ein gewaltfreies Leben ein hohes Gut. Unser Ziel ist es, dies mit allen Mitteln zu schützen.

Gemeinsam mit vielen Akteuren in unserer Stadt – in Berlin- haben wir ein breites Unterstützungsangebot aufgebaut. Für Mädchen und Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Wir wollen, dass jedes Mädchen, jede Frau weiß, wo sie Hilfe bekommt. Aber wir wollen auch, dass es gar nicht erst zu Gewalt kommt. Hierfür müssen wir gemeinsam Lösungen finden.

Und zwar alle. Wir, die wir schon immer hier wohnen und wir, die wir aus anderen Ländern gekommen sind.

Viel ist schon erreicht: Die Vergewaltigung in der Ehe ist strafbar. Und die häusliche Gewalt wird immer öfter von betroffenen Frauen angezeigt. Aber der Tod von Hatun Sürücü zeigt uns auf grausame Weise, dass noch viel zu tun ist. Auch nach 7 Jahren.

Wir dürfen in der Debatte nicht müde werden. Lasst uns für ein Klima der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe kämpfen. Wir wollen, dass jedes Mädchen unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft ihr Leben frei gestalten kann. Nach ihren eigenen Vorstellungen. Frei von Gewalt.

Einen weiteren Fall Hatun Sürücü darf es in unserer Stadt nicht mehr geben.

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Max
08.02.2012 20:29:15
Deutlich und klar
"Dazu gehört aber auch, frauenfeindliche Kulturen und Traditionen konsequent zu benennen und zu verurteilen."

Dieser Satz von Frau Schöttler ist für eine Politikerin überraschend deutlich. Bravo!
Tabu
08.02.2012 10:28:30
Antwort Charles Atlas
Bin ganz Deiner Meinung. Trotzdem toll, dass hier von Frau Schöttler und Frau Loth endlich mal klare Worte gesprochen wurden.
Charles Atlas
08.02.2012 07:42:02
Wann werden endlich die Konsequenzen gezogen?
Zu den hier dokumentierten Ansprachen der Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, und der Staatsekretärin der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, Barbara Loth:

Es werden Schlagworte aufgezählt (Selbstbestimmung, Handlungsfreiheit, Gleichberechtigung, Toleranz, Respekt, Würde des Einzelnen, Grundgesetz…), es werden Fragen gestellt (Wie kann ein solches Verbrechen vor unseren Augen geschehen? Hätten wir es vorher erkennen können? Hätten wir helfen können? Was passiert in so vielen Familien in unserer Stadt? Wie viel Leid ist überall? Warum schaffen es viele Familien ohne Gewalt und warum andere nicht?) - und dennoch ist zu befürchten, dass auch dieser Mord nicht die notwendigen Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Diese mehr als überfälligen Konsequenzen würden darin bestehen, dass allen hier lebenden Einwanderern deutlich und umissverständlich klar gemacht wird: Hier gelten unsere Gesetze und Spielregeln! Wenn ihr damit nicht einverstanden seid - da ist die Tür!

Dies hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, im Gegenteil: sämtliche Personen mit Migrationshintergrund in meinem Umfeld - in erster Linie meine Frau und meine Schwiegertochter - würden diese Forderung nur allzu gern unterschreiben. Der hierzulande gegenüber integrationsunwilligen Migranten und schwerstkriminellen Clans praktizierte Kuschelkurs stößt bei ihnen auf heftigste Ablehnung. Ich erlebe immer wieder, dass - sobald das Gespräch auf dieses Thema kommt - die sonst so zurückhaltenden, selbstbeherrschten Menschen ostasiatischer Herkunft ihren Gefühlen freien Lauf lassen: „Wieso habt ihr Deutschen diese Typen, die euch hassen und verachten und euch nur ausnutzen, überhaupt reingelassen? Wieso schmeißt ihr die Kriminellen nicht raus? Ist euch nicht bewusst, dass wir es sind, die vielleicht eines Tages die Zeche zu zahlen haben?“
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