DIE MENSCHENRECHTSFUNDAMENTALISTEN
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11. September: „Wir haben mit Bier angestoßen“ (zweite Veröffentlichung auf diesem Blog)
Das sich heute wieder einmal die Anschläge vom 11. September jähren, veröffentlichen wir diesen Artikel erneut (Erstveröffentlichung 11. September 2011):

11. September: „Wir haben mit Bier angestoßen“
von Thomas Baader
 

Zum Zeitpunkt der Anschläge des 11. September 2001 war ich Student und jobbte nebenher bei einem bekannten Nachhilfeanbieter. Dort habe ich es dann auch erfahren: Einer der Nachhilfeschüler erzählte mir an diesem Tag, dass es in New York gerade einen großen Anschlag gegeben habe.
 

Die Dimension des Vorganges hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfasst. Nachrichten von Anschlägen gab es ja immer mal wieder und aus den Worten des Schülers ließ sich nicht entnehmen, von welchem Ausmaß diese Terrorakte gewesen waren. Erst im Verlauf der Nachhilfestunde wurde mir durch Äußerungen der in der Einrichtung tätigen Verwaltungskraft deutlich, dass etwas sehr Großes passiert sein musste. Irgendwann war an diesem Tag der Punkt erreicht, wo eigentlich keine Nachhilfe mehr möglich war, die Schüler wollten über das Geschehene sprechen.
 

Das Irritierende im Verhalten meiner Mitmenschen erlebte ich aber nicht an diesem Tag selbst, sondern erst in den kommenden Wochen. Ein Gespräch ist mir dabei besonders gut im Gedächtnis geblieben: Es war wieder bei der Nachhilfe, der Schüler war ein älterer Jahrgang, wortgewandt, clever, sympathisch. Kleidung und Auftreten wiesen ihn eindeutig als einen dezidiert linken Jugendlichen aus. Auf das, was dann kam, war ich nicht gefasst:
 

„Wir haben an dem Abend dann noch mit Bier angestoßen…“
 

Mit „wir“ waren er und eine Gruppe von gleichgesinnten Freunden gemeint. Der Grund für die Feierstimmung waren – daran ließ der weitere Verlauf des Gesprächs keinen Zweifel – die Anschläge des 11. September.
 

Ich muss an dieser Stelle ehrlicherweise eingestehen, dass ich damals selbst nicht frei von antiamerikanischen Ressentiments gewesen bin (die Presse tat ja in dieser Hinsicht auch ihr „Bestes“), doch diese Aussage versetzte mir einen Schock. Die Freunde meines Nachhilfeschülers waren mir unbekannt und daher auch erst einmal egal, doch von ihm selbst hatte ich eigentlich immer einen sehr positiven Eindruck gehabt. Wie konnte es sein, dass er der Ermordung von mehr als 3000 Menschen auf diese Art seine Zustimmung ausdrückte? Durch welche Mechanismen in unserer Gesellschaft konnte ein aufgeweckter netter junger Mann in seinem Hass auf die USA so verblendet worden sein, dass eine solche Nachricht bei ihm keine Betroffenheit auslöste, sondern Feierlaune?
 

Die Details des weiteren Gesprächs sind mir nicht mehr so klar im Gedächtnis geblieben, nur dass ich ihm irgendwann ein „Na ja, war vielleicht doch ein bisschen krass von uns…“ entlocken konnte. Ich hingegen werde wohl das Übliche zu ihm gesagt haben, z. B. dass an diesem Tag ja noch nicht einmal in irgendeiner Form schuldige, sondern einfach irgendwelche Menschen gestorben sind, d. h. wäre seine Freundin an diesem Tag zufällig im WTC gewesen, wäre sie nun auch unter den Toten und das Anstoßen mit Bier wäre seinerseits vermutlich unterblieben. Ein wenig nachdenklich wurde er wohl irgendwann dann schon.
 

Bei allen undifferenzierten ablehnenden Gefühlen, die ich damals leider selbst noch den Amerikanern entgegengebracht haben mag, hatte dieses Gespräch doch etwas bei mir selbst bewirkt: Ich begann mich zu fragen, ob ich in einem Land lebe, in dem weite Teile der Gesellschaft Hass und Fremdenfeindlichkeit für gerechtfertigt und unbedenklich halten – vorausgesetzt, beides gilt den Amerikanern.
 

Es war einige Zeit ins Land gegangen, da hatte ich mein zweites einschneidendes persönliches Erlebnis in Zusammenhang mit dem 11. September. Ein Bekannter – jemand, mit dem ich zuvor bei mehreren Gelegenheiten zum Wahldienst eingeteilt worden war – begegnete mir, und als unser Gespräch auf die Anschläge vom 11. September kam, da berichtete er mir von folgender Begebenheit: Kurz nach dem Ereignis habe er seine Tochter vom Kindergarten abgeholt und meinte, sich verhört haben zu müssen, als das Kind zu ihm sagte:
 

„Die Juden sind ja daran schuld, dass das in New York passiert ist…“
 

Ein weiterer Schock. Ich muss jetzt allerdings mein obiges Geständnis erweitern: Wenn ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens empfänglich war für antiamerikanische Einstellungen, dann gilt selbiges natürlich auch für reichlich undifferenzierte „Israelkritik“. Man wird sich erst im Rückblick darüber bewusst, wie leicht man noch als junger Mensch beeinflussbar war.
 

In diesem Fall hatten es wir jedoch nicht einfach mit „jungen Menschen“ zu tun, sondern mit richtigen Kindern. Schnell stellte sich heraus, dass die Kleine eine Äußerung wiedergegeben hatte, die sie im Kindergarten aufgeschnappt hatte. Der Vater war völlig fassungslos. Und auch ich fragte mich, was für eine Art von Erwachsenen dahintersteckt (Kinder plappern ja schließlich solche Dinge nur nach), wenn Kindergartenkinder plötzlich antisemitische Verschwörungstheorien wälzen.
 

Irgendetwas stimmte in Deutschland nicht, das war zu spüren. Natürlich zeigten viele auch eine tiefe Betroffenheit. Aber es gab zu viele, die kein Mitgefühl empfinden wollten – weil die Opfer ganz einfach die falschen Opfer waren. Und dies für mich zu einer weiteren Überlegung:
 

Heute gibt es Debatten darüber, dass der Hass mancher Migranten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft – in Deutschland und anderen Ländern – nicht Rassismus genannt werden dürfe, da Rassismus immer etwas mit Machtverhältnissen zu tun habe und „die Migranten“ nun einmal keine Macht hätten. Diese Argumentation hat etwas sehr Gefährliches. Sie führt nämlich dazu, Hass und Fremdenfeindlichkeit nur dann zu thematisieren, wenn vermeintlich „Machtlose“ betroffen sind – was im Umkehrschluss dann bedeutet, dass man die „Mächtigen“ (oder eben doch nur als mächtig Empfundenen) bedenkenlos hassen darf. Der Hass auf Amerikaner wird ebenso wenig wie der Hass auf Angehörige der Mehrheitsgesellschaft problematisiert, weil „Mächtige“ nach dieser Vorstellung einfach keine Opfer sein können. Wer so argumentiert, der tritt dieser Form des Hasses jedoch nicht entgegen und lässt die Täter und ihre Sympathisanten gewähren. Anders ausgedrückt: Die Verharmloser und Relativierer wollen keine Rasissmusdebatte um Antiamerikanismus und Deutschenfeindlichkeit führen, weil sie selbst ja auch weiterhin diesbezügliche Ressentiments pflegen wollen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.
 

Auf dass man sich auch weiterhin bei einem guten Glas Bier darüber freuen kann, wenn es endlich mal die Richtigen trifft.

Dieser Artikel erschien am 10. September 2011 in voller Länge auch auf dem Blog "Achse des Guten" und am 11. September 2011 in voller Länge auf dem Blog "CDU-Politik.de":
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/wir_haben_mit_bier_angestossen/
http://www.cdu-politik.de/www/cdupolitik/wordpress314/2011/09/11/11-september-wir-haben-mit-bier-angestosen/#more-12253


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Tabu
12.09.2012 13:26:21
Antwort Lamentum
Mach Dich nicht so fertig wegen Deiner damaligen Ansicht. Viele junge Menschen, die anfangen, sich für Politik zu interessieren, suchen Schwarz und Weiß bzw. einfache Antworten. Problematisch wird es doch nur,wenn man mit 40 immer noch so denkt.
Mathieu
12.09.2012 05:52:43
Ähnlich
Ganz ähnliche Erfahrungen habe ich gemacht. Am Tag selbst habe ich nur schockierte Menschen erlebt, doch bereits am nächsten Tag habe ich von einem Sozialdemokraten ungefähr Folgendes gehört: "Jetzt sehen die Amis mal, wie das ist..." Auch ein älterer Mann, auch mit eigenen (schmerzlichen) Kriegserfahrungen. In den folgenden Tagen drehte sich die Stimmung immer mehr. Von einem CDU-Ex-Bürgermeister kamen relativierende Aussagen, dass der Hunger viel mehr Opfer fordere etc.
Ich habe den Anschlag weniger als Anschlag auf USA erlebt, sondern auf Freiheit und das Symbol des friedlichen, multikulturellen Zusammenlebens, nämlich die Stadt New York. Ich konnte darin auch nicht die geringste politische Dimension erkennen, wie es sonst zu mindest immerhin noch bei terroristischen Akten der Fall war. Für mich war der Anschlag Ausgangspunkt für eine einegehendere Beschäftigung mit den Hintergründen und auch ein Wendepunkt in meinem latenten Antiamerikanismus, vor allem aber auch der Abschied von einem idealistischen Pazifismus.
Tabu
11.09.2012 22:54:03
Anekdote
Mir fällt dazu etwas ein, womit ein Kollege alle anderen schockiert haben soll (war nicht dabei). Einen Tag nach dem Angriff auf das World Trade Center meinte er: "Jetzt kriegen die Amis wenigstens die Quittung für das, was sie uns damals in Dresden angetan haben."
Der Mann ist übrigens damals um die 50 mindestens gewesen.
3 Elemente gesamt
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