Gute Akgün, schlechter Broder
Wie es die SPD-Politikerin Lale Akgün in ihrem neuen Buch „Aufstand der Kopftuchmädchen“ mit den Tatsachen nicht so genau nimmt
von Konservativ (P)
Eines vorweg: Lale Akgüns neues Buch ist ein gutes und wichtiges Buch. Es enthält hervorhebenswerte Aussagen über eine zeitgemäße Interpretation des Islam, über Geschlechter-Apartheid und Kopftücher sowie über die Rolle der ultrakonservativen Islamverbände. Auch übt sie berechtigte Kritik an dem Begriff „Islamophobie“. Gleichzeitig aber scheint Akgün eine moralische Verpflichtung zu empfinden, sich von anderen Islamkritikern inhaltlich absetzen zu müssen (obwohl die inhaltlichen Unterschiede in der Realität keineswegs allzu groß sind).
In dem Kapitel „Gute Islamkritik, schlechte Islamkritik“ (och!) schreibt Akgün nämlich:
„Der Publizist Henryk M. Broder ist - neben Sarrazin – vielleicht der wortgewaltigste unter den sogenannten Islamkritikern (wobei wir sehen werden, dass es gute und schlechte Islamkritik gibt). In seinem Weblog ‚Die Achse des Guten’, das er gemeinsam mit anderen Autoren und Journalisten betreibt, macht er pauschal Stimmung gegen „den Islam“. Er fordert, Moscheen sollten in Deutschland erst gebaut werden dürfen, wenn islamische Länder ihrerseits den Bau von Kirchen und Synagogen erlaubten.“
(Aufstand der Kopftuchmädchen, S. 48)
Das ist eine zumindest verkürzende und daher letztlich sinnentstellende Wiedergabe von Broders Position. Zur Verdeutlichung des Sachverhalts sei an dieser Stelle wiedergegeben, was Broder im Nachtstudio im ZDF am 7. März 2010 sagte:
„Es ist vollkommen klar, dass man Menschen, die hier leben, nach den Gesetzen dieses Landes behandeln und ernst nehmen muss. […] Es sind ja keine Kirchen-, Moscheen-, Synagogenvereine, die hier Gotteshäuser für die Moslems errichten, sondern Außenstellen – der verlängerte Arm – der türkischen Religionsbehörde. Mit denen kann man durchaus Geschäfte auf Gegenseitigkeit machen. […] Und ich finde, das kann man verlangen. Weil es geht nicht darum, dass den Moslems hier die Religionsausübung verboten wird oder sie daran gehindert werden, überhaupt nicht. Mir wäre ja jede repräsentative Moschee auf dem Ku’damm sehr recht. […] Wir setzen einen Hebel an, um diese Menschenrechte auch in Ländern durchzusetzen, wo sie bis jetzt nicht anerkannt sind. […] Wir schließen die Verträge über den Bau von Moscheen, gegen die ich nichts habe – ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit –, nicht mit irgendwelchen Moscheevereinen hier ab, sondern mit den Vertretern der türkischen Religionsbehörde.“
Nun kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob das von Broder vorgeschlagene Konzept sinnvoll oder ist oder nicht. Die Demokratie erlaubt zweifelsfrei auch hierüber verschiedene Ansichten. Aus Broders Darstellung ergibt sich jedoch, dass er keineswegs an ein generelles Bauverbot für Moscheen denkt (wie das Akgüns Formulierung nahelegt), sondern infrage stellt, inwieweit in Deutschland irgendwelche Unrechtsregime als Bauherrn für Gotteshäuser auftreten dürfen, die in ihren eigenen Ländern ihrerseits religiösen Minderheiten Grundrechte verwehren. Würde man hier in Broders Sinne vorgehen, blieben immer noch andere Finanzierungsmöglichkeiten für Moscheen in Deutschland übrig, und zugleich würden den fundamentalistisch ausgerichteten Drahtziehern aus dem Ausland entscheidende Möglichkeiten der Einflussnahme genommen.
Dass Moscheen in Deutschland prinzipiell gebaut werden sollen, wurde von Broder beispielsweise in der Anne Will-Sendung direkt nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen bestätigt, und auch der folgende Auszug aus einem Interview gibt diese Position wieder:
„Broder: Die Forderung nach einem Moscheebauverbot ist rechtsradikaler Populismus. Man kann nicht Leute herholen, und ihnen dann die Grundrechte ihrer Religionsausübung verweigern.“
Vor diesem Hintergrund kann man schon fast nicht mehr lediglich von fahrlässiger Ungenauigkeit sprechen, wenn Akgün in ihrem Buch mit folgender Behauptung fortfährt:
„Broder ist auch gefährlich, weil er die falsche Medizin verschreibt, wie das Zitat zum Moscheebau zeigt. Deutschland sollte seiner Meinung nach genauso intolerant und undemokratisch sein wie Saudi-Arabien und Co., um die hiesigen Muslime auf Linie zu bringen.“
Und da blitzt selbst bei Akgün eine Unart auf, die sich in den letzten Jahren im deutschen Feuilleton breitmacht: Setze den Kritiker des Radikalismus mit den Radikalen selbst gleich. Da es aber momentan in Saudi-Arabien meines Wissens keine gewichtige Persönlichkeit gibt, die ein – dort ja faktisch existierendes und nicht nur theoretisch diskutiertes – Verbot für den Bau von Kirchen und Synagogen ebenfalls als „rechtsradikalen Populismus“ gegeißelt hätte, ist der Vergleich zwischen Broder und den Saudis so schief, dass er nicht eine Sekunde aufrecht stehen könnte. Dass dann Akgün auch noch ausgerechnet den Journalisten Thomas Steinfeld zitiert („Wer die Grundbegriffe der Demokratie behandelt, als wären sie Glaubensartikel – Gebote, zu denen man sich bekennen muss – der ist von der Gesinnung ihrer Gegner schon durchdrungen“), lässt ihre Polemik gegen Broder im Absurden versanden. Denn weder Steinfeld noch Akgün scheinen sich bewusst zu sein, dass das Schreiben ihrer Zeitungsartikel bzw. Bücher erst einmal zwingend voraussetzt, dass sich die Mehrheit der Menschen in diesem Land in der Tat zu den Grundbegriffen der Demokratie bekennt, „als wären es Glaubensartikel“. Ohne eine solche Haltung wäre es um Presse- und Meinungsfreiheit bald geschehen. Aus gutem Grund nennen daher auch die Lehrpläne an unseren Schulen „Erziehung zu Demokratie“ immer wieder als Lernziel. Wir „belästigen“ also unsere Schüler und Schülerinnen mit demokratischen Ideen, da Weimar eindrucksvoll gezeigt hat, dass eine Demokratie ohne Demokraten dauerhaft nicht funktioniert. Daher können Grundbegriffe der Demokratie letztlich gar nichts anderes sein als „Gebote, zu denen man sich bekennen muss“ – denn sonst wäre letztlich auch „Aufstand der Kopftuchmädchen“ niemals geschrieben worden.
Die zweite Attacke reitet Akgün schließlich gegen Sarrazins „im Grunde rassistische[s] Buch“:
„Er ist der Meinung, diese [Integrationsprobleme] seien biologischen Ursprungs, da Muslime nicht zum Volkscharakter der Deutschen passten. Das Elementare bei ihm ist das Biologische, das Genetische, das für alle Zeiten eine strikte Grenze zu ‚den Deutschen’ bilde. Dieses Fremde ist seiner Ansicht nach bis in alle Ewigkeit fremd, weil es biologisch unterschiedlich sei und zudem auch ein bisschen dümmer.“
Diese Zusammenfassung von Sarrazins Thesen hat Lale Akgün nett geschrieben. Der Nachteil bei der Sache ist jedoch, dass derartiges in Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ an keiner Stelle zu finden ist. Es stellt sich ja vielmehr die Frage, warum sich ganze Kapitel in Sarrazins Buch mit möglichen Maßnahmen zur Behebung von Integrationsproblemen und mit Bildungsförderung beschäftigt, wenn der Autor laut Akgün der Ansicht ist, es sei ohnehin schon alles biologisch determiniert. Die Aussage, dass Fremde (oder Muslime) generell dümmer seien, ist von Sarrazin an keiner Stelle getätigt worden.
Schließlich geschieht die Benennung von Necla Kelek als „radikale Islamkritikerin“ (S. 62) ohne Angabe von Gründen, so dass eine rationale Erwiderung schlicht nicht möglich ist.
Die genannten Unsachlichkeiten sind letztlich mehr als ärgerlich, zumal die von Akgün kritisierten Personen in besagtem Kapitel in einem Atemzug mit der rechtspopulistischen Pro-Bewegung und der NPD genannt werden. Man hätte sich als Leser gewünscht, dass Lale Akgün über derartige Schläge unter die Gürtellinie erhaben gewesen wäre. |