Rasse schlägt Geschlecht: Das Schere-Stein-Papier der Diskriminierung
von Thomas Baader
Für den O.J.-Simpson-Prozess griff man auf einen Richter japanischer Herkunft zurück. Man wollte in einer heiklen Frage, die sich zu einem Konflikt zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung ausweiten könnte, einen Richter haben, der keinem der beiden Lager zugerechnet wird. Weder Schwarzer noch Weißer zu sein, schien als Garant für Neutralität zu gelten.
Nun könnte man aber auf dem Standpunkt stehen, dass sich der Simpson-Mordfall eigentlich nicht primär um Hautfarben drehte. Es ging schließlich darum, dass ein Mann unter dem Verdacht stand, seine Ex-Frau ermordet zu haben. Eine Angelegenheit der Geschlechter, nicht der "Rasse"? Wieso wurde es eigentlich als unproblematisch empfunden, einen männlichen Richter zu haben? Ein schwarzer oder weißer Richter war schließlich bewusst vermieden worden. Nun kann man, anders als bei Hautfarben, im Falle von Geschlechtern eher schwer auf eine dritte Alternative ausweichen. Trotzdem ist auffällig, dass man sich mehr Gedanken um die Hautfarbe des Richters machte als um sein Geschlecht, obwohl eine Beziehungstat vorlag.
Michael Moore äußerte sich dazu folgendermaßen:
"Die meisten Weißen sind sehr empört über das Urteil in O.J. Simpsons Fall. Sehr empört. Aber warum eigentlich? Weil man einen Mörder laufen ließ? Das passiert doch jeden Tag! Weil O.J. seine Frau geschlagen hat? Entschuldigung, das tut doch euer Nachbar auch. Gerade jetzt. Habt ihr schon die Polizei gerufen, oder wollt ihr euch lieber nicht einmischen? "
Das Verfahren gegen Simpson wird heute von vielen Experten als fehlerhaft und dilettantisch kritisiert. In diesem Sinne gilt es durchaus als Skandalurteil. Trotz des Freispruchs im Strafprozess wurde Simpson in einem späteren Zivilprozess zur Zahlung von 33,5 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen verurteilt. Ist es ein Skandal, dass sich die meisten Weißen über das Urteil im Strafprozess aufregen, wie Moore sagt, oder ist es ein Skandal, dass viele Schwarze es aus einer falschen Solidarität heraus nicht tun?
Als Peri e. V. und Terre des Femmes gemeinsam einen Trauermarsch für das Ehrenmord-Opfer Arzu Özmen veranstalteten, kündigte Pro NRW kurzfristig an, ebenfalls an dem Gedenken teilnehmen zu wollen. Nun betrachten wir noch einmal kurz die Fakten: Auf der einen Seite das "Ehrverbrechen" an einer jungen Frau, die sich nicht patriarchalischen Regeln beugen wollte - auf der anderen Seite der Auftritt einer fremdenfeindlichen Gruppierung. Nun raten Sie mal, was ab diesem Moment für einen Großteil der Presse das entscheidende Thema geworden war: Richtig, die ermordete Frau trat in den Hintergrund, und eine bedeutungslose Splitterpartei hatte es mit einer bloßen Ankündigung geschafft, ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu gelangen. Schere, Stein, Papier - in der heimlichen Diskriminierungshierarchie schlägt die Kategorie "Rasse" (oder mit ihr unrichtigerweise gleichgesetzte Kategorien wie Religion oder Ethnie) automatisch die Kategorie "Geschlecht". Es war schwer, den Journalisten auszureden, Pro NRW zum Schwerpunkt ihrer weiteren Berichterstattung über den Trauermarsch zu machen. Es bedurfte zahlreicher Bitten und Distanzierungen. Dass Pro NRW keine Parteibanner entrollen durfte, war vorneherein klar gewesen. Am Ende lag der Fokus wieder dort, wo er hingehörte: auf dem eigentlichen Opfer. Aber es war eine Kraftanstrengung nötig gewesen, und die Leichtfertigkeit, mit der Journalisten vom eigentlichen Thema abkommen, weil sie meinen, etwas Brisanteres gefunden zu haben, hat viele der Menschen, die sich für Arzu Özmens Gedenken eingesetzt haben, sehr zornig gemacht.
Auch die kulturrelativistisch begründete Verteidigung der Burka durch westliche Politiker und Intellektuelle ist ein Möchtegern-Antirassismus, der auf Kosten von Frauenrechten geht. Manche Zeitgenossen scheinen Rassismus für die schlimmste Form der Diskrimnierung überhaupt zu halten. Dabei ist es für einen Menschen völlig gleichgültig, ob er wegen seiner Hautfarbe, seiner Religion, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung ermordet wird. Hier eine Hierarchie etablieren zu wollen, ist im Kern ein antihumanistisches Unterfangen.
Unsere Öffentlichkeit reagiert äußerst sensibel auf Rassismus. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist das verständlich. Es führt aber nichtsdesoweniger zu absurden Situationen, wenn Rassismus zur dominanten Kategorie wird in Fällen, wo es eigentlich um eine Diskriminierung völlig anderer Art geht. Judith Butler etwa sorgte sich darum, dass Homosexuelle zu wenig vorgingen gegen Antimuslimismus in den eigenen Reihen. Warum gilt ihre Sorge nicht den Muslimen, die zu wenig gegen Homophobie in den eigenen Reihen unternehmen? Was ist wohl realistischerweise als das größere Problem zu sehen - Muslime, die Schwule diskriminieren, oder Schwule, die Muslime diskriminieren? Im Fall von Judith Buter wird die Welt einzig und allein durch die antirassistische Brille gesehen, was im konkreten Fall die Gestalt einer Täter-Opfer-Umkehr annehmen kann.
Wer einmal auf einer Veranstaltung zum Thema Ehrenmord und Zwangsverheiratung gewesen ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit folgende Erfahrung gemacht haben: Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird nicht mehr über vergewaltigte und ermordete Frauen gesprochen, sondern über "Islamophobie". Selbst wenn die Referenten das Thema auf eine völlig korrekte Art und Weise behandeln (was häufig vorkommt), schaffen es in der anschließenden Zuschauerdiskussion beleidigte Muslime und besorgte Nicht-Muslime, dass nun 30-60 Minuten lang über seelische Verletztheiten innerhalb einer Religionsgemeinschaft gesprochen wird und nicht über Mädchen, die von ihrem eigenen Vater verbrannt wurden. Kann man sich eine Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern vorstellen, bei der hauptsächlich über den guten Ruf der Ostdeutschen debattiert wird statt über Opfer rassistischer Gewalt? Trotzdem gelingt es fast immer den genannten Akteuren, die Debatte um "Ehrverbrechen" zu verweigern und stattdessen das Gespräch auf die angeblichen eigentlichen Opfer zurückzulenken. Wieder mal gilt: Nichts kann so schlimm sein wie die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe.
Noch nicht einmal die Diskriminierung ihrer eigenen Frauen durch diese Bevölkerungsgruppe selbst.
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