Deutsche Architekten: Bauen für die chinesische Diktatur und für die eigene Bedürfnisbefriedigung
von Thomas Baader
Haben deutsche Architekten eine Affinität zu antidemokratischen und totalitären Strukturen? Allein schon die Frage klingt danach, als solle ein ganzer Berufsstand pauschal verunglimpft werden. Die Wahrheit ist, dass innerhalb der Architektenschaft durchaus ähnlich kontrovers gestritten wird wie in der restlichen Gesellschaft auch. Doch bei näherem Hinsehen offenbart sich, dass bei deutschen Architekten problematische Einstellungen weit verbreitet zu sein scheinen.
Verstehen sich Architekten mehrheitlich als „von der Gesellschaft beauftragt“, wollen sie sie belehren, nehmen sie Impulse aus der Gesellschaft dankbar an oder empfinden sie sie als Störungen? Als konkretes Beispiel kann Günter Behnisch (bekannt durch den Bau des Münchner Olympiastadions) genannt werden, der in einem Interview in der „ZEIT“ vom 12.02.2004 auf die Frage nach dem Wunsch vieler Menschen nach einer Architektur der Gemütlichkeit antwortete: „Wenn jemand Gemütlichkeit braucht, soll er sich eine Katze anschaffen. Ich habe zwei Katzen zu Hause, das ist gemütlich.“ Derselbe Behnisch, dem die Wünsche und Vorstellungen der Bevölkerung offensichtlich eher lästig sind, spricht dennoch im selben Interview davon spricht, Gebäude müssten aus „demokratischem Geist“ heraus gebaut werden, und dass die Parole „Mehr Demokratie wagen“ für ihn immer sehr wichtig gewesen sei. Das Theoretisieren darüber, was demokratische Architektur sein könnte, braucht offenbar für Behnisch und andere Berufsgenossen nicht in einen Zusammenhang mit demokratischer Praxis gestellt werden. Anders ausgedrückt: „Demokratische Architektur“ kann man am besten diktatorisch „von oben“ definieren und nicht demokratisch durch entsprechende Erhebungen „von unten“ ermitteln. Der Widerspruch ist offensichtlich und führt zu bizarren Konsequenzen.
Ähnlich zu bewerten sind die Äußerungen der Architekten Meinrad von Gerkan und Volkwin Marg in einem Interview im Magazin „DIE ZEIT Geschichte“ vom Oktober 2005: Auf ein von ihnen durchgeführtes Projekt in China angesprochen, fordert Marg ein „Aufhören mit dem mystischen Qualm der Gemütlichkeit“. Von Gerkan geht einen Schritt weiter: Er spricht von China als einen „Glücksfall“ und zeigt unverhohlen seine Freude darüber, dass die Machthaber dort „auf niemanden Rücksicht zu nehmen“ brauchen. Der Eindruck, den der Leser hier gewinnen muss, ist der des vom Glück geradezu begünstigten Architekten, der sich beim Bauen für eine Diktatur weder mit einer kritischen Presse noch mit störenden Bürgerbewegungen herumärgern muss. Irritiert fragt man sich da vielleicht doch, wie weit es mit dem Demokratieverständnis unserer Architekten her ist. Das Bauen unter Bedingungen wie in China scheint für einige Architekten unseres Landes eine Idealvorstellung zu sein.
Einzelfälle? Im Intro der Internetpräsenz von KSP Engel und Zimmermann wird der Architekt Jürgen Engel mit dem Satz zitiert: „Für uns hat Qualität mit den Bedürfnissen von Menschen zu tun.“ Wer die Debatte um die Bebauung des Areals des Technischen Rathauses in Frankfurt am Main mitverfolgt hat, wird sich daran erinnern, dass es eben jener Jürgen Engel war, der sehr verschnupft auf die Tatsache reagierte, dass die Bürger der Stadt seinen Entwurf offensichtlich nicht wollten.
Häufig beschränkt sich das vermeintlich Demokratische am „demokratischen Bauen“ auf die Wahl des Materials durch den Architekten. Die Gleichung „Glas = Demokratie“ umschreibt ein entsetzliches Missverständnis, das in der Vorstellung besteht, ein bestimmtes Material wäre in der Lage, allein durch seine Beschaffenheit komplexe Inhalte und Ideen unserer Wertegemeinschaft sichtbar zu machen. Glas stehe, so ist häufig zu hören, für die Transparenz und Offenheit, die die Grundlagen einer jeden Demokratie seien. Diese Vereinfachung ist aber nun dermaßen primitiv, dass man sich nur wundern kann, wie so viele allgemein als Intellektuelle bezeichnete Menschen sie gedankenlos nachplappern konnten. Eine solche Interpretation eines bestimmten Materials ist natürlich vollkommen willkürlich. Genauso gut ließe sich behaupten, Glas stehe symbolisch für alltägliche Täuschungen (da es, sofern sauber genug, auch sein Nichtvorhandensein vortäuschen kann), für Illusionen (da die Umgebung widergespiegelt wird) oder für die Schwäche einer Gesellschaft (da zerbrechlich). Letztlich aber hat kein Material wirklich etwas mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun, sondern mit Funktionen (nicht jedes Material ist an jeder Stelle sinnvoll einsetzbar), dem Ort (manche Materialien haben in bestimmten Regionen Tradition und in anderen nicht) und natürlich auch mit persönlicher Vorliebe. Letztere zumindest lässt sich für eine größere Anzahl von Menschen leicht ermitteln, was wesentlich mehr mit Demokratie zu tun hätte als das Austüfteln fragwürdiger symbolischer Zusammenhänge. Bislang hat sich jedenfalls niemals jemand die Mühe gemacht herauszufinden, ob die Menschen mehrheitlich Glasfassaden tatsächlich mit „Demokratie“ assoziieren.
Allerdings gibt es dankenswerterweise auch Gegenstimmen. So kritisiert Christoph Mäckler in der taz, wie Günter Behnisch und Werner Durth die Glasfassade der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin gegen die vom Senat festgesetzte Gestaltungssatzung durchgesetzt haben: „Ich meine, das hat mit Demokratie nun gar nichts mehr zu tun. Für mich ist es ein Armutszeugnis, wenn ich als Architekt nur mit einem Material arbeiten kann.“ Und der Luxemburger Architekt Leon Krier formulierte einmal treffend: „Bürgerinitiativen gegen Architekten und Stadtbauprojekte grassieren in allen demokratischen Ländern. Dort gibt es kurioserweise keine Bürgergruppen, die Einfluss auf die Entwürfe von Flugzeugen, Kühlschränken oder Zahnarztstühlen nehmen wollen. Die Autorität der Berufsstände, die ihre Versprechen einlösen, ist selten umstritten.“
Viele Architekten wollen aber lediglich Häuser bauen, die „funktional“ sind, und halten alles darüber hinaus Gehende für Kitsch, übersehen dabei aber das Offensichtliche: dass das Ästhetische, das dafür sorgt, dass ein Mensch in einem Gebäude gerne wohnt oder arbeitet, durchaus eine „Funktion“ darstellt. Die wenigsten von uns halten sich gerne in überdimensionierten Schuhkartons auf. Die Experten führen derweil absurde verkopfte Diskussionen über „ehrliche“ und „unehrliche“ Gebäude: So meinte man einst, Schüler und Lehrer würden sich darüber freuen, in ihren Klassenräumen von nackten Betonwänden umgeben zu sein, da ein solches Gebäude „brutal ehrlich“ sei, auf jeden Fassadismus verzichte und deutlich zeige, woraus es bestehe. Die berühmte „Abstimmung mit den Füßen“ hat derweil längst stattgefunden. In den meisten Schulgebäuden aus der Zeit des Betonbrutalismus hat man die hässlichen nackten Wände längst bunt übermalt, verstellt oder verhängt, weil niemand in solchen Räumen gerne arbeiten wollte.
Und wieder China: Auf die Nase gefallen ist dort der Architekt Albert Speer junior. Anting German Town, ein Vorort von Shanghai, hätte nach Wunsch der Chinesen von deutschem Fachwerk geprägt sein sollen. Doch das Frankfurter Architekturbüro verstand es, seinen Auftraggeber zu beschwatzen und ihm das „Rückwärtsgewandte“ und „Kitschige“ an seinen Wünschen zu verdeutlichen. Bekommen haben die Chinesen letztlich eine gesichtslose und langweilige deutsche Retorten-Vorstadt, so einfallslos und fad, dass dort niemand wohnen möchte. Über die deutsche Geisterstadt in China berichtete „Spiegel Online“ diese Woche ausführlich.
Das, was unserer Zeit fehlt und dringend notwendig ist, ist die Hinwendung zu einer ganzheitlich nutzerorientierten Architekturtheorie; „ganzheitlich nutzerorientiert“ meint in diesem Fall, dass ein Gebäude nicht nur für Menschen als Funktionsträger, sondern als vielschichtige Lebewesen konzipiert wird; der Mensch mit seinen Bedürfnissen, mit seiner Rationalität wie seiner Emotionalität, mit seinem Ästhetikbedürfnis wie mit seinem Bedürfnis nach schlichter und erweiterter Funktionalität, steht dann im Mittelpunkt. Es müssen neue Gebäude entstehen, die mehr Menschen zu begeistern vermögen als eine Handvoll Akademiker im Elfenbeinturm.
Was aber einige Architekten tatsächlich von Bürgerwünschen und gelebter Demokratie halten, zeigt das Ende des bereits zitierten Interviews mit Gerkan und Marg:
- ZEIT: „Ihr Bauherr ist also eine Art absolutistischer Bauherr. China ist Ihr 18. Jahrhundert!“
- von Gerkan: „Es war wohl doch keine so schlechte Zeit damals.“
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