Diskriminiert fühlen bedeutet nicht diskriminiert werden
von Thomas Baader
Diese Meldung und ähnlich formulierte gingen in den letzten Tagen durch die Medienwelt:
Diskriminierung im Alltag
Beleidigungen, Ausgrenzung, schlechtere Chancen: Jeder vierte Migrant in Deutschland fühlt sich im deutschen Bildungssystem diskriminiert. Das geht aus einer neuen Studie hervor. Was muss sich ändern?
Nun muss man sich erst einmal klar machen, dass besagte Studie herausgefunden hat, dass sich jeder vierte Migrant in Deutschland diskriminiert fühlt und keineswegs, dass er diskriminiert ist. Dadurch ist der Aussagewert der Studie nicht besonders groß. Würde man eine Studie durchführen, die der Frage nachgeht, wie viele Deutscheohne Migrationshintergrund sich benachteiligt fühlen - sei es durch "die da oben", durch Ausländer, durch das Wirken der jüdischen Lobby -, man käme möglicherweise auf erstaunliche Zahlen, ohne freilich auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass eine solche Empfindung mehr sein könnte als nur eine Empfindung.
Im Hinblick auf die Migranten ist es genau umgekehrt: Hier nehmen Journalisten die Aussagen der Betroffenen ohne Weiteres für bare Münze. Wer jedoch über eigene Erfahrungen in der Schule als Lehrer oder Schulpsychologe verfügt oder einfach nur das Vergnügen hat, mehrere dieser Menschen gut zu kennen, kommt schnell zu einer anderen Erkenntnis. Ein paar Fallbeispiele:
a) Eine türkischstämmige Schülerin hat in einem Fach einen neuen Lehrer bekommen, bei dem sie schlechte Noten schreibt und der sie dauernd wegen ihres störenden Unterrichtsverhaltens ermahnt. Die Schülerin beginnt daraufhin überall zu erzählen, dass der Lehrer Türken hasst und dies der Grund für ihr Schulversagen ist. Als man eine andere türkischstämmige Schülerin in derselben Klasse auf den Vorwurf anspricht, schüttelt diese verwundert den Kopf: "Der Herr X soll rassistisch sein? Etwas gegen Türken haben? Ja, wenn der Türken hasst, warum kriege ich dann immer nur gute Noten bei ihm und werde niemals ermahnt?" An der Wahrnehmung der erstgenannten Schülerin, diskriminiert zu werden, ändert dies jedoch nichts.
b) Ein Schüler mit Migrationshintergrund hat "schon einiges auf dem Kerbholz". Aufgrund mehrer unschöner Vorfälle ist ihm angedroht worden, dass ihn demnächst eine unangehme schulische Maßnahme betreffen könnte. Der Schüler aber schlägt die Warnung in den Wind und zeigt wieder ein entsprechendes Verhalten. Daraufhin beschließt die Lehrerkonferenz besagte Maßnahmen gegen ihn. Der Schüler ist deshalb sehr unglücklich und erzählt rum: "Das ist alles nur die Schuld von Frau Y. Die hasst mich, weil sie rassistisch ist." Was der Schüler nicht wissen kann: Frau Y war die einzige unter seinen Lehrern, die der Maßnahme nicht zugestimmt hat. Im Gegenteil, auf der Konferenz hat sie (erfolglos) versucht, ihre Kollegen davon zu überzeugen, es noch einmal im Guten zu versuchen. Ironischerweise verdächtigt der Schüler also genau die Lehrerin des Rassismus, die sich als einzige für ihn stark gemacht hat.
c) An einer Schüle findet abends eine Podiumsdiskussion zum Thema "Zwangsheirat und Ehrenmord" mit einer ausgewiesenen Expertin statt. Nach der Veranstaltung verkündet ein türkischstämmiger Schüler lautstark, dass er sich durch die Podiumsdiskussion diskriminiert fühle. Wörtlich sagt er: "Es ist rassistisch, so pauschal über uns Türken zu reden." Und nach zwei Sekunden Pause fügt er hinzu: "Außerdem, das mit den Ehrenmorden, das machen nur all diese dreckigen Scheißkurden." Auf das Gelächter sein Mitschüler reagiert der junge Mann sichtlich verwundert: Ihm ist nicht klar, dass er in seiner Verteidigungsrede gegen angebliche Diskriminierung seiner Bevölkerungsgruppe eine andere Bevölkerungsgruppe beleidigt und diskriminiert hat.
Keines dieser Beispiele ist erfunden. Die Vorfälle sind so geschehen und sie stehen repräsentativ für eine nicht exakt feststellbare Anzahl vergleichbarer Vorfälle.
Dabei, das sei noch einmal betont, ist das subjektive Sichbenachteiligtfühlen natürlich kein Alleinstellungsmerkmal von Migranten. Vor Jahren hat eine Studie einmal erforscht, was genau Kinder und Jugendliche als Ursache für ihren schulischen Misserfolg (insofern ein solcher vorliegt) ansehen. Während Schüler in fernöstlichen Ländern am häufigsten antworteten "Ich habe wohl zu wenig gelernt", war die am meisten genannte Antwort in Europa "Der Lehrer hat es mir nicht richtig beigebracht". Angesichts dieser Tatsache verwundert es nicht, dass vietnamesische Schüler in Deutschland zu den erfolgreichsten zählen: Wer den Fehler bei sich selber sieht, arbeitet an sich und hat gute Chancen, sich zu verbessern. Liegt die Schuld jedoch angeblich bei jemand anderem, braucht man sich auch keine Mühe zu geben: Egal, was ich mache, der Lehrer hasst mich ja sowieso.
Auch Schüler ohne Migrationshintergrund neigen also dazu, sich benachteiligt zu fühlen. Sie würden dies wohl in der Regel mit einer persönlichen Abneigung begründen, die der Lehrer angeblich ihnen gegenüber empfindet. Die Schüler mit Migrationshintergrund hingegen landen bei ihren Überlegungen "Wie kann ich am besten erklären, dass ich nicht schuld bin, sondern jemand anderes" schnell bei einem anderen Erklärungsmodell: Noch besser als persönliche Abneigung zieht der allgegenwärtige Rassismus.
Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus auch persönliche Abneigungen von Lehrerseite (oder eben gar Rassismus) wirklich gibt, was sich dann auch in einer tatsächlichen Benachteiligung auswirken kann. Bloß ist das subjektive Empfinden der Schüler völlig ungeeignet, um darüber eine verlässliche Aussage zu machen und die Ausmaße dieses Phänomens zu ermitteln.
Die Medien reagieren also auf die Studie unangemessen alarmistisch. Der tatsächliche Anteil diskriminierter Schüler dürfte deutlich geringer sein, als die Studie suggeriert. Und nebenbei: Trotz eines weitverbreiteten Gefühls "Jemand anders ist Schuld an meinem Schulversagen" kommen 75% der Schüler mit Migrationshintergrund zu dem Schluss, nicht diskriminiert zu werden.
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