Lesehinweise
Eine beliebte Standardübung in der Wahlberichterstattung ist es, den Umfrageinstituten vorzuhalten, sie würden mit irgendwelchen Geheimformeln an ihren Parteizahlen herumpfuschen. Als Trommelwirbel dient dabei meist der Fachbegriff „Gewichtung.“ Dieses Wort kann man in den Ohren unbedarfter Leser so schön verdächtig klingen lassen, und so wird in jedem Wahlkampf erneut die Gewichtung von Umfragen als vermeintliche Enthüllung präsentiert. Ein Beispiel dafür ist ein Artikel von Wolfgang Gibowski vom Juli dieses Jahres im „Cicero“ mit dem äußerst originellen Titel „Die geheimen Tricks der Demoskopen“ (http://www.cicero.de/berliner-republik/wahlumfragen-die-geheimen-tricks-der-demoskopen/55214), der allein schon deswegen seltsam ist, weil Gibowski selbst lange Jahre lang Wahlforschung betrieben hat. Er müsste es also eigentlich besser wissen.
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Hat eine Partei A bei der letzten Wahl 50 Prozent der Stimmen erhalten und kommt bei der Rückerinnerungsfrage auf den zu tiefen Wert von 45 Prozent, so ergibt sich ein Gewichtungskoeffizient von 50 : 45 = 1,11. Das heißt, die 45 Prozent Befragten, die die Partei gewählt haben, werden so gezählt, als würden sie 50 Prozent derer ausmachen, die bei der letzten Wahl gewählt und eine konkrete Angabe gemacht haben. Hundert Personen mit diesen Merkmalen zählen soviel, als wären sie 111 Befragte.
Wenn eine Partei bei der Rückerinnerungsfrage auf einen zu tiefen Wert kommt, kommt zwangsläufig umgekehrt mindestens eine andere Partei auf einen zu hohen Wert. Nehmen wir an, die Partei B kommt bei der Frage: „was haben Sie letztes Mal gewählt“ ebenfalls auf 45 Prozent, tatsächlich betrug das letzte Wahlergebnis aber nur 40 Prozent. Hier ergibt sich ein Gewichtungskoeffizient von 40 : 45 = 0,89. Hundert Personen, die angeben, sie hätten bei der letzten Wahl Partei B gewählt, zählen also soviel wie 89 Personen, und zwar unabhängig davon, welche Wahlabsicht sie für die kommende Wahl äußern.
Dass dieses Beispiel so nicht stimmen kann bzw. nur einen Teil der Wahrheit darstellt, kann jeder für sich selbst feststellen, wenn er sich drei Fragen stellt:
- Warum soll ausgerechnet die Rückerinnerung an die letzte Wahlentscheidung dabei helfen, einen Datensatz richtig zu gewichten? Was, wenn die Rückerinnerung falsch oder schlicht unwahr ist? Was, wenn die Anzahl derjenigen, die sich rückerinnern wollen, verzerrt ist, also nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit?
- Was ist mit Nichtwählern? Wie werden Nichtwähler, die 2009 nicht gewählt haben, 2013 aber eine Wahlangabe machen, gewichtet? [Und für Insider: Wie gehen die Meinungsforscher damit um, dass Rückerinnerungsfragen immer und ausnahmslos die Anteile der Partei überschätzen, die gewonnen hat?]
- Was ist mit neuen Parteien, die mit der Frage nach der letzten Wahlentscheidung nicht erhoben werden können, weil es sie bei der letzten Wahl schlicht noch nicht gab?
Dass das von Petersen dargestellte Verfahren so nicht funktionieren kann, ist spätestens jetzt klar. Somit stellt sich die Frage, was beim Gewichten wirklich passiert und mit dieser Frage ist man bei der Aussage von Wolfgang Gibowski: Niemand außerhalb der entsprechenden Institute weiß es so genau. Was genau geschieht ist ein gut behütetes Geheimnis, das man jedoch aufgrund der aus der empirischen Sozialforschung bekannten Praktiken zumindest teilweise lüften kann.
http://sciencefiles.org/2013/09/14/gewichtung-von-umfragedaten-magisches-aus-meinungsforschungsinstituten/
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