von Konservativ (P)
Michel Friedman ließ sich kürzlich auf ein gewagtes soziales Experiment ein: Zwei Tage lang arbeitete er in einem Kreuzberger Dönerladen (http://www.welt.de/politik/deutschland/article13413101/Mit-scharf-oder-ohne-Michel-Friedman-verkauft-Doener.html). Dabei gewann er wertvolle neue Erkenntnisse:
a) Er hat zwei linke Hände.
b) Viele Türken, obwohl hier geboren und aufgewachsen, fühlen sich nicht als Deutsche.
c) Schuld daran ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft mit ihren ständigen Zurückweisungen.
d) Aber natürlich ist auch Sarrazin ein bisschen schuld.
Punkt d) bietet wenig Diskussionsstoff, denn wir werden uns in Zukunft einfach daran gewöhnen müssen, dass bei allen Gelegenheiten Sarrazin als Verantwortlicher aus dem Hut gezaubert wird, wenn irgendeine Sache nicht richtig läuft. Dies wird so oft geschehen, bis Menschen sich zu fragen beginnen, ob Sarrazin überhaupt real existiert.
Schauen wir uns stattdessen Erkenntnis c) an. Hier offenbart sich ein altes Stereotyp: "Der Ausländer" (heute "der Migrant") kann unmöglich schuld sein an seinem Verhalten oder seinen Einstellungen. Erst "wir" (oder wahlweise die Amerikaner, der Kapitalismus oder Israel-Palästina-Konflikt) haben ihn dazu gebracht. Er reagiert ja nur. Er muss an seinem Verhalten daher auch nichts ändern. Wir sind es, die unser Verhalten ändern müssen. Dann klappt es auch mit den Migranten.
Interessant an dieser Betrachtungsweise ist, dass der vermeintliche Migrantenschützer dabei selbst von fragwürdigen Prämissen ausgeht. Denn zu obigen Schlüssen kann man nur dann gelangen, wenn man "den Einheimischen" als erwachsen, verantwortungsvoll und reflektierend begreift, "den Migranten" aber als unmündig und kindlich. Denn (das wurde bereits erwähnt) der Migrant reagiert ja immer nur. Der Erwachsene in dieser Beziehung ist der Nicht-Migrant, der Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Er trägt die Verantwortung für alles. Der Migrant hingegen weiß ja gar nicht, was er tut, und kann dementsprechend gar nicht anders.
Dieser gutmenschliche Postkolonialismus, der (vornehmlich nicht-westliche) Migranten auf eine niedrigere Kulturstufe verweist, treibt wahrlich seltsame Blüten. Dass die Betroffenen selbst jedoch weder um Michel Friedman noch um Claudia Roth als Vormund gebeten haben, spielt dabei keine Rolle.
Letztlich drängen sich auch ganz andere Parallelen auf: Deutsche haben einst darauf verwiesen, dass sie für ihre Radikalisierung in der Weimarer Zeit und danach nicht verantwortlich seien. Schuld sei der Versailler Vertrag und somit die Siegermächte. Auch wenn es zweifellos immer Zusammenhänge gibt zwischen den Verhaltensweisen verschiedener politischer und gesellschaftlicher Akteure: Es muss doch in der Tat sehr angenehm sein, seine eigene Verantwortlichkeit an der Garderobe abgeben zu können und sich in die Unmündigkeit einzukuscheln. Ich ehrenmorde meine Schwester? Da sind doch bestimmt so ein paar deutsche Nazis dran schuld...
Ob die böse Mehrheitsgesellschaft so mächtig ist, dass sie auch Menschen in den Kokainkonsum und die Inanspruchnahme von Zwangsprostitution treibt, konnte allerdings bisher nicht ermittelt werden.
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