Lesehinweise
Aber natürlich ist islamkritisch für Leute wie Breivik eine Schutzbehauptung, weil sich hinter dem selben Schlagwort auch Menschen wie Leon de Winter oder Henryk M. Broder verbergen, die mit Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Auch das ist sehr alt, Nazis haben sich früher als Sozialisten bezeichnet und Burschenschaftler als Frauenrechtler.
Was können die verstorbenen Staatsmänner Jefferson und Churchill dafür, dass der Norweger sie zitierte, was kann der legendäre Philosoph Mill dafür, dass ein zum Verbrecher Entschlossener sich auf ihn beruft? Der Rückgriff eines Menschen, der Kinder erschießt, auf das Christentum ist ebenso hirnrissig und aller Logik fern wie die Ermordung von Landsleuten durch einen, der die Nation zu schützen vorgibt.
Nach der Tragödie in Norwegen, scheint es eine ausgemachte Sache zu sein, dass Islamgegner oder fanatische Islamgegner oder aber krankhafte Islamgegner eine Mitschuld an dieser Mordorgie haben. Hier muss dringend etwas richtig gestellt werden. Die Tat dieses Menschen ist wahrscheinlich nur psychopathologisch zu verstehen, wenn überhaupt eine Erklärung für solch ein Ausmaß des Gräuels möglich ist.
Der Autor teilt viele Aspekte der Kritik am politischen Islam. Auch glaube ich nicht, dass die gesellschaftliche Debatte unter Stimmen wie der von Henryk M. Broder leidet oder auf sie verzichten könnte, ganz im Gegenteil: Für eine lebendige demokratische Streitkultur bräuchte es noch viel mehr derart pointierte Stimmen. Allerdings kann und darf auch nicht übersehen werden, dass an den Rändern der „islamkritischen“ Blogs und Foren längst eine Radikalisierung stattgefunden hat, die als Stichwortgeber zumindest mittelbar zu der Katastrophe beigetragen hat, die Anders Behring Breivik in Oslo und auf Utøya herbeigeführt hat.
Ähnlich unabgegolten wirken auch andere "Vorlieben" Breiviks: seine Lesefrüchte (neben Richard Rorty, Franz Kafka (!) oder John Stuart Mill auch der temperamentvolle Publizist Henryk M. Broder), seine manifeste Begeisterung für martialische Kostümierungen, seine Sympathie für Ungarn. Letztlich gründet seine in die Wirklichkeit übersetzte Tötungsfantasie aber in einer Denkfigur der radikalen Moderne: Breivik, und das ist keine geringe Pointe, hat mit seinem insulären Schussmassaker die Haltung der Surrealisten rund um André Breton, übrigens einen begeisterten Marxisten, eingenommen: Setze einen gewalttätigen Akt, für den es weder Grund noch Zweck gibt! Schieß mit dem Revolver blindlings in die Menge!
Dass der CSU-Scharfmacher Hans-Peter Uhl beim Ruf nach schärferen Sicherheitsgesetzen vorneweg marschiert, verwundert nicht. Geht es um die Vorratsdatenspeicherung, also um die lückenlose Überwachung des Internetverkehrs und von Telefongesprächen, fühlt er sich seit jeher berufen. [...] Auch an anderen parteipolitischen Orten wird wegen Norwegen in aller Breite Unsinn verzapft. Etwa wenn Niedersachsens Linksparteichef Manfred Sohn den dortigen CDU-Innenminister Uwe Schünemann beschuldigt, er gehöre zu jenen Politikern, die "für die Schaffung eines ideologischen Umfelds mitverantwortlich sind, in denen Attentäter wie Behring Breivik gedeihen können". Wer so daherredet, sollte sich die Tränen beim Blick nach Norwegen sparen und sie den Krokodilen überlassen. Das ist keine politische Diskussion mehr, das ist politische Hetze, für die das Adjektiv "geschmacklos" geradezu ein Lob darstellte. Man kann durchaus eine schärfere Beobachtung der rechtsradikalen Szene im Internet fordern, wie dies SPD und Grüne tun. Dies kann man sich indes auch sparen, wenn man so tut - wie eben Grüne und Rote -, als ob es im Internet nicht auch eine linksradikale Szene gäbe, die ebenfalls ein ideologisches Umfeld für künftige Attentäter bietet. Wer dies gezielt ausblendet, gibt lediglich den politischen Populisten, der den Massenmord in Norwegen zur Werbung für seine politische Position auszunutzen versucht.
Das rechtspopulistische Milieu, dem der irrsinnige Täter angehört, sei mindestens so gefährlich und einflussreich wie das islamistische - und wir sollten unsere Antennen entsprechend justieren. Diese These ist absurd. Denn es gibt keinen Vertreter irgendeiner Regierung in der westlichen Welt, der diese Tat eines Wahnsinnigen offen oder heimlich beklatscht oder relativiert. Aber es gibt Dutzende Beispiele in islamischen Staaten, vom Iran bis Malaysia, in denen Terror und Mord bejubelt und verharmlost wurde und wird.
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