von Thomas Baader
„Fest steht jedoch, dass ‚Onkel Toms Hütte’ Abolitionisten wie John Brown den Weg ebnete.“ Diesen Satz kann man bei Wikipedia finden. Beim Lesen musste ich sofort an die jüngsten schrecklichen Ereignisse in Norwegen denken. Weshalb? Weil ich momentan dazu neige, alles was ich lese, auf das aktuelle Geschehen zu beziehen, da es in seiner kaum fassbaren Grausamkeit so dominierend ist? Vielleicht. Aber vielleicht ist da auch mehr.
Geschichte wiederholt sich nicht. Man mag das hin und wieder behaupten, aber in Wahrheit kann Ereignis A niemals genauso sein wie Ereignis B, allein schon deswegen nicht, weil zur Zeit von Ereignis B das Wissen um die Geschehnisse von Ereignis A vorhanden gewesen ist. Jedes geschichtliche Geschehen ist einzigartig. Man stößt also niemals auf Identisches, sehr wohl aber auf Ähnliches, auf Parallelen, auf Gemeinsamkeiten.
„Onkel Toms Hütte“ (im Original: „Uncle Tom’s Cabin“) war ein wirkungsmächtiges Buch. Seine Verfasserin schilderte dort das Schicksal eines schwarzen Sklaven in Kentucky. In jener Zeit war die Sklavenhaltung in den Südstaaten der USA Gegenstand hitziger Debatten. Der Norden des Landes gab sich modern, aufstrebend, aufgeklärt. Der Süden war seinen stolzen Traditionen verpflichtet und pflegte das romantische Bild des Südstaaten-Gentleman, der auf jede Beleidigung seiner Ehre mit einer Forderung zum Duell reagierte. Im Norden hatte sich mittlerweile mehr und mehr die Einsicht durchgesetzt, dass Sklaverei unmenschlich ist. Im Süden hielt man dagegen, dass es arrogant sei, wenn die Yankees den Südstaatlern sagen wollten, was sie zu tun und zu lassen haben. Schließlich, so die Argumentation des Südens, sei dass nun mal die Art und Weise, wie man hier lebt. Sklavenhaltung habe es hier schon immer gegeben. Sie sei eben Teil des Südens.
Die Handlung von „Onkel Toms Hütte“ machte die Grausamkeit der Sklaverei überdeutlich. Im Norden erhielt die Autorin viel Beifall. Der Süden hingegen schäumte vor Wut: Das Bild, dass die Verfasserin zeichne, habe mit der Lebenswirklichkeit des Südens nicht zu tun. „Onkel Toms Hütte“ sei nichts als eine Ansammlung von Lügen. In den kommenden Jahren erschien in den Südstaaten eine wahre Flut von Anti-Tom-Romanen.
Und wer ist nun John Brown? John Brown war ein radikaler Abolitionist, ein Mann, der die Sklaverei mit Gewalt beenden wollte. Wie im Eingangssatz erwähnt, hatte „Onkel Toms Hütte“ ihm den Weg geebnet. Mit seinen Söhnen und anderen Anhängern gründete Brown eine regelrechte Anti-Sklaverei-Guerilla und machte Jagd auf Sklavenhalter, stets dabei bemüht, seine Taten als Akt der Selbstverteidigung darzustellen. Einige dieser Morde waren von außerordentlicher Brutalität, so etwa die Abschlachtung von fünf Sklavereibefürwortern in Kansas. All dies geschah im Namen Gottes und einer höheren Moral. Als Browns Männer im Jahr 1859 die Kleinstadt Harpers Ferry überfielen, um das große und lange erwartete Signal zur allgemeinen Sklavenbefreiung zu setzen, fühlten sich die Abolitionisten in ihrem Fanatismus gar als Teil einer neuen „Provisorischen Regierung“. Doch der große Coup misslang: Die Miliz machte dem Treiben rasch ein Ende, Brown wurde im Dezember des Jahres 1859 hingerichtet. Fluchtangebote hatte Brown angeblich abgelehnt: Er wollte als Märtyrer sterben und durch seinen Tod die Befreiung der Sklaven im Süden erreichen.
Wäre es angemessen gewesen, wenn Harriet Beecher Stowe, die Autorin von „Onkel Toms Hütte“, sich wegen der Thematisierung der Sklavenhaltung in ihrem Roman Vorwürfe gemacht hätte? Schließlich hatte es ja Männer wie Brown und andere gegeben, die in der Gewalt das richtige Mittel zur Erreichung ihres edlen Zieles gesehen hatten. Aber trotz des Fanatismus und des Wahns der radikalen Abolitionisten war das Ziel der Befreiung der Sklaven des Südens kein Verwerfliches. Die Taten Browns und seiner Männer stellten die Pervertierung eines für Menschenrechte eintretenden Handelns dar. Letzteres wurde dadurch jedoch nicht diskreditiert. Die Kritik an der Sklaverei war nach wie vor richtig. Und Mord war nach wie vor falsch.
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