„Judas“ und „Nestbeschmutzer“: Wie manche Reformpädagogen auf Kritik reagieren
von Thomas Baader
Ist es tatsächlich möglich, dass progressive und moderne Geister – noch dazu Lehrer – einfach mal eben so interne Kritiker mit Begriffen wie „Judas“ und „Nestbeschmutzer“ bedenken? Ja. Der Missbrauchsskandal der Odenwaldschule beweist es.
Salman Ansari unterschied sich von seinen Kollegen an der Odenwaldschule darin, dass er sich, sobald die Missbrauchsvorwürfe bekannt waren, uneingeschränkt auf die Seite der betroffenen Schüler stellte. Dafür, so Ansari, habe man ihn mit Begriffen wie „Judas“ und „Nestbeschmutzer“ bedacht. Und Kollege Henner Müller-Holtz bestätigt: „Er ist von einigen, auch von mir, als Judas, als Heuchler, als Weiß-der-Geier bezeichnet worden… als Verräter an der Schule.“
Nun sollte man eigentlich meinen, dass Pädagogen, die einem linksliberalen Milieu entstammen, um Bezeichnungen wie „Judas“ und „Nestbeschmutzer“ einen großen Bogen machen würden – handelt es sich doch um Begriffe, die ziemlich eindeutig besetzt sind. An der Odenwaldschule gingen aber offenbar trotz der Verwendung von einschlägigem Vokabular bei niemandem die inneren Alarmsirenen an. Der Grund dafür hat sehr, sehr viel mit dem Konzept zu tun, auf dem die Gemeinschaft Odenwaldschule basiert.
Lehrern und Schülern der Odenwaldschule wurde immer vermittelt, Teil von etwas Großem, Besonderem und Einzigartigem zu sein. Das ist nicht zwangsläufig gefährlich, es kann im Gegenteil sogar in maßvoller Dosierung in einem positiven Sinne identitätsstiftend wirken. In der Übersteigerung hingegen wandelt sich diese Haltung zum Korpsgedanken. Widerfährt nämlich eine Einrichtung eine derartige Idealisierung und Verklärung, so muss jede Kritik an ihr als Verrat interpretiert werden. Und der Verräter, der die Reputation des „Wir“ beschädigt, trifft folgerichtig auf den entschlossenen Widerstand der geschmähten Gemeinschaft. Und das ist – man muss es an dieser Stelle einmal in aller Deutlichkeit sagen – schlichtweg faschistoid.
Im Fall der Odenwaldschule wandten sich die Biedermänner wandten nicht gegen die Brandstifter, sie wandten sich gegen die Verbrannten. Ihre Sorge galt nicht den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen, ihre Sorge galt dem Ruf der Schule. Die Gemeinschaft – richtiger: das Bild der Gemeinschaft – war längst wichtiger geworden als der einzelne. Die Institution Odenwaldschule musste um jeden Preis gerettet werden, Missbrauchsopfer wurden zu Bauernopfern. Das Schlimme war nun nicht, dass Schüler dieser Schule von Lehrern missbraucht worden waren. Das Schlimme war, dass die Sache in die BILD-Zeitung kommen könnte. Der ehemalige Schulleiter Harder, an den sich die vom Missbrauch betroffenen Altschüler wandten, ohne die von ihnen erwünschte Reaktion zu erhalten, findet heute: „Ich habe meine Integrität immer gewahrt.“ Und Starpädagoge Hartmut von Hentig gab die Parole aus: „Meine (nicht leicht einzuhaltende) Strategie: aussitzen.“ Die große Rufschädigung, die man unbedingt vermeiden wollte, führte man letztlich so selbst herbei. Denn ein Pädagoge darf vieles sein, aber eines ganz gewiss nicht: in menschlicher Hinsicht erbärmlich.
Dieser Text wurde am 21.08.2011 auch in voller Länge auf dem Blog "CDU-Politik.de" veröffentlicht:
http://www.cdu-politik.de/www/cdupolitik/wordpress314/2011/08/21/judas-und-nestbeschmutzer-wie-manche-reformpadagogen-auf-kritik-reagieren/
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