Lesehinweis
Hartmut Krauss
Das frustrierte Begehren nach Verharmlosung
Oder: Wenn doch herauskommt, was politisch eigentlich nicht erwünscht ist
Eine kritische Betrachtung der regierungsamtlichen Auftragsstudien über Muslime im Allgemeinen und der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ im Besonderen
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Als ein zentrales Ergebnis der Studie wird festgestellt, dass 48,1 Prozent der befragten „nichtdeutschen Muslime“ starke Separationsneigungen aufweisen, d. h. darauf ausgerichtet sind, die (islamische) Herkunftskultur zu bewahren, „und eine sehr geringe Neigung, die deutsche Kultur zu übernehmen“ (S. 609). Bei der Gruppe der befragten „deutschen Muslime“ umfasst diese Teilgruppe mit starken Separationsneigungen 21,7%.
Völlig im Dunklen bleibt hierbei, was die Autoren unter „deutscher Kultur“ verstanden wissen wollen und was die muslimischen Probanden denn konkret darunter verstehen: (a) Die Grundprinzipien der säkularen Moderne, (b) die Grund- und Menschenrechte, (c) das deutsche Strafgesetzbuch, (d) das deutsche Sozialsystem, (e) die deutsche Esskultur, (f) die primäre Identifikation mit der deutschen Fußballnationalmannschaft etc.? Möglich wäre ja immerhin, dass sich die Befürwortung der Übernahme der deutschen Kultur nur auf c, d, und f beziehen könnte, aber nicht auf a, b und e.
Nicht nur fragwürdig, sondern m. E. unhaltbar ist der dieser Studie zugrunde liegende subjektivistische bzw. psychologisierende Integrationsbegriff, der die objektiv feststellbaren Aspekte/Indikatoren der Eingliederung in ein Gesellschaftssystem ebenso ausblendet wie die inhaltliche Analyse des Konvergenz-Divergenz-Verhältnisses zwischen herkunftskultureller (traditioneller) Normativität und aufnahmengesellschaftlicher (moderner) Normativität (soziokulturelle Vergleichsanalyse).
So verstehen die Autoren in Anlehnung an den Ansatz von John Berry(5) „unter Integration ein Beibehalten der traditionellen Herkunftskultur bei einem gleichzeitigen Übernehmen der neuen Mehrheitskultur“ (S. 595f.). Was heißt aber nun genau „Beibehalten der traditionellen Herkunftskultur bei gleichzeitigem Übernehmen der neuen Mehrheitskultur“, wenn beide Kulturen stark divergieren, sich normativ widersprüchlich bis gegensätzlich zu einander verhalten und sich weitgehend wechselseitig negieren? Würde man dieser Fragestellung untersuchungsmethodisch wirklich nachgehen wollen, dann müsste man die objektiven kulturellen Bedeutungsdiskrepanzen fokussieren und die Probanden mit wertekonflikthaltigen Aussagen konfrontieren, um die subjektiven Widerspruchsverarbeitungsformen und Einstellungen gegenüber den objektiven Bedeutungswidersprüchen zu ermitteln. Ansonsten verharrt man unkritisch auf der Erscheinungsoberfläche subjektiver Wunschvorstellungen bzw. verzerrender (widerspruchseliminierender) Sichtweisen und Intentionen (6).
Vor diesem Hintergrund ist es auf jeden Fall äußerst fragwürdig, wenn im Hinblick auf ihre subjektiven Intentionen widersprüchlich strukturierte Gruppen von Muslimen, die „auf dem Bewahren der Herkunftskultur bestehen, aber auch deutlich die Übernahme der deutschen Kultur befürworten“, unter der Hand zu „Muslimen mit überwiegenden Integrationsneigungen“ stilisiert werden. Das läuft weniger auf wissenschaftliche Aufklärung als vielmehr auf politisch erwünschte Problemverharmlosung und untersuchungsmethodisch erkünstelte Problemverkleinerung hinaus. Verdunkelt wird so auch das eigentlich katastrophale, wenn auch von den Autoren nicht explizierte Ergebnis der Studie: 52,3% der befragten deutschen Muslime und 75,9% der befragten nichtdeutschen Muslime bestehen in starkem Ausmaß auf dem Bewahren der traditionellen Herkunftskultur. Wie dieses (orthodox-islamisch grundierte) starke Interesse an der Bewahrung der traditionellen Herkunftskultur mit der Übernahme der deutschen Kultur in Übereinstimmung gebracht werden soll, bleibt theoretisch das Mysterium der deutschen Auftragswissenschaft und praktisch der noch nicht einmal im Ansatz entschärfte Sprengsatz der deutschen Integrationspolitik.
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http://www.gam-online.de/text-Das%20frustrierte%20Begehren.html
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