Nun ist Hannes Stein ein Autor, den ich leider nicht persönlich kenne, dessen kluge und nachdenkliche Beiträge ich aber immer zu schätzen wusste. An dieser Stelle merke ich jedoch, dass ich einmal nicht mit ihm übereinstimme, und hoffe, dass mir eine ebenso kluge wie nachdenkliche Erwiderung gelingt.
Auch der MRF-Blog hat vor kurzem das besagte niederländische Verbot in einem Beitrag thematisiert (http://menschenrechtsfundamentalisten.de/page8.php?post=342). Im Gegensatz zu unseren Schreibern sieht Hannes Stein die Religionsfreiheit durch das Verbot massiv eingeschränkt. Zu diesem Zwecke verweist er darauf, dass der Antisemitismus von Anfang ein moralisierender gewesen sei, womit er zweifellos recht hat. Folglich stellt für ihn das Schächtverbot einen Versuch dar, Juden zu schlechteren Menschen (d. h. Tieren gegenüber grausameren) Menschen zu erklären. Ich muss gestehen, dass ich dies für eine arge Überinterpretation halte. Im weiteren Verlauf begegnet Hannes Stein diesem Vorwurf der Grausamkeit, indem er zu belegen versucht, dass am Schächten nichts Inhumanes sei.
An dieser Stelle muss ich jedoch auf einen logischen Bruch verweisen: Falls Herr Stein Recht hat, und es gibt am Schächten nichts zu beanstanden, dann gibt es natürlich keinen Grund für ein Verbot. Das würde dann aber nicht nur für Juden und Muslime gelten, sondern für alle Niederländer. Vor diesem Hintergrund würde es nur Sinn ergeben, Schächten generell zu erlauben oder generell zu verbieten. Denn die eine Möglichkeit wäre eben, dass es sich dabei in der Tat um eine völlig harmlose Angelegenheit handelt. Die zweite Möglichkeit aber wäre (und man sollte zumindest über sie nachdenken), dass Schächten wirklich einfach nichts ist, was man mit Tieren tun sollte. In letzteren Fall hätte sich eine Gesellschaft aus (hoffentlich) guten Gründen darauf geeinigt, diese bestimmte Vorgehensweise zur Tötung eines Tieres nicht zu gestatten. Wenn die Gesellschaft aber tatsächlich einen solchen guten Grund hat, müsste sie in dieser Frage auch konsequent bleiben: Angenommen, Schächten wäre tatsächlich grausam (und gehört verboten), dann wäre es um nichts weniger grausam, wenn es aus religiösen Gründen getan würde. Die ethisch nicht vertretbare Handlung (so sie eine solche wäre) könnte nicht plötzlich dadurch vertretbar werden, dass sie religiös motiviert ist. In einem solchen Fall würde sich die Religion selbstverschuldet in einen krassen Gegensatz zur Vernunft stellen. (Übrigens danke an einen Leser, der diese Gedankengänge angeregt hat).
Es sei angemerkt, dass ich bis hierhin selbst noch kein (moralisches oder moralisierendes) Urteil über das Schächten gefällt habe, sondern nur zwei verschiedene Möglichkeiten untersuche (Unbedenklichkeit contra Bedenklichkeit), und zu dem Ergebnis komme, dass völlig unabhängig davon, welche der beiden Möglichkeiten der Wahrheit entspricht, die bislang übliche Praxis nicht besonders sinnvoll erscheint.
In einem hat Hannes Stein jedoch in jedem Fall Recht: Eine ethische Position, die das Wohl der Tiere im Auge hat und sich nur um religiöse Formen der Tiertötung sorgt und dabei vernachlässigt, was täglich auf „ganz normalen“ Schlachthöfen und Tiertransporten passiert, ist wenig glaubwürdig.
Die von mir ebenfalls sehr geschätzte Seyran Ates hat einmal geschrieben, dass es ihr gleichgültig sei, ob Juden oder Muslime schächten, sie sei in jedem Fall gegen Grausamkeiten an Tieren. Man muss ihr nicht zustimmen. Aber man sollte im Hinterkopf behalten, dass sich ethische Positionen mit der Zeit verändern. Wer heute in Deutschland öffentlich zugibt, seine Kinder zu schlagen, muss mit einer Anzeige, zumindest aber mit irritierten Blicken rechnen. Vor einigen Jahrzehnten noch hätte dies als normale Erziehungsmethode gegolten. Heute sagt man: „Wie konnten die nur damals?“ Es ist gut möglich, dass wir heute Dinge tun, die uns völlig selbstverständlich und in keiner Hinsicht moralisch verwerflich erscheinen, die aber in (vielleicht schon naher) Zukunft als undenkbar gelten. Die Art und Weise, wie wir mit Tieren umgehen, könnte dazugehören – selbst dann, wenn wir (hoffentlich) dann nicht alle Vegetarier sein werden.
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